Einsteigen bitte, es geht in die Natur!

Essay

Einsteigen bitte, es geht in die Natur!

Der Autor will so schnell wie möglich aus der Grossstadt,
wenigstens für ein paar Stunden. Doch der Handy-Mensch hinten
im Bus erinnert ihn daran, dass Stadt heute auch auf dem Land ist.

 

Ich war guten Mutes, ehrlich. Der Himmel wolkenlos, das Gemüt zufrieden und die Arbeit erledigt. Seit Wochen schon hatte ich darauf gewartet und extra jeden Tag im Kalender abgehakt. Heute nun stand endlich das Kleeblatt drin. Dieses hatte ich irgendwann Mitte Februar mit grünem Farbstift dort hineingezeichnet, im Wissen, dass ich es vorher nicht rausschaffen würde. Zu viele Meetings, Trainings und anderer Habakuk, den man sich eigentlich sparen könnte. Aber der Geschäftsalltag hat einem manchmal derart im Griff, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.

Apropos Baum: Auf einen solchen sollte ich heute Nachmittag noch raufklettern. Doch zuvor ging ich die Wände hoch.

Grund war der kaum zwanzigjährige Rüpel hinter mir im Bus. Ich hatte mir noch überlegt, das Taxi zu nehmen. Das wäre zwar teurer gewesen, aber schneller und vor allem ruhiger. Ich wollte keine Gespräche, keine Musik, keine Lautsprecherdurchsagen oder Kindergeschrei. Und schon gar nicht wollte ich, dass irgendjemand mit seinem Handy spielt oder noch schlimmer: sich Gewaltvideos auf Youtube reinzieht – mit Ton! Doch genau dies tat der Postpubertierende hinter mir. Ich wusste nicht was und wie, aber ich hörte regelmässig Schläge und Schreie einer Frau. Allein das wäre eigentlich Grund genug gewesen, um dem Jungspund auf die Finger zu kloppen und ihm die Leviten zu lesen. In einem Land, wo alle zwei Tage eine Frau von ihrem Partner, Freund, Liebhaber oder sonst einem Mann erdrosselt, erstochen, erschossen oder zerstückelt wird, braucht es Zivilcourage. Gerade unter Männern.

Doch um ehrlich zu sein war mir der Inhalt in diesem Moment weniger wichtig als die Lautstärke. Also drehte ich mich um, und bat ihn mehr oder weniger freundlich, seine Kopfhörer anzuziehen und im Falle, dass er keine hat – was die Regel ist – das digitale Fernsehen doch bitte auszuschalten. Stell dir vor, wenn das alle machten, hörte ich mich noch sagen, dann würden wir uns gar nicht mehr verstehen. Erschrocken senkte er sein Haupt, murmelte etwas von ja-ja und schaltete den Aparat zu meiner Überraschung kurz darauf tatsächlich ab. (…)

* * * 

Hauptbild: Baumkronen als Ort der Entspannung: Der Blick von unten auf die Spitzen der jahrhunderte alten Bäume des Redwood-Forest im gleichnamigen Nationalpark in Kalifornien, USA. (mutantia.ch)