Schritt für Schritt zu den Rechten der Natur

Was Ecuador bereits in der Verfassung verankert hat, möchte nun auch Kolumbien: Naturrechte. Bis es soweit ist, tastet sich das Land auf lokaler Ebene an das neue Rechtsverständnis heran – auch dank naturverbundenen Gerichtsentscheiden.

29. Juli 2019. – Vor gut einem Monat hat das oberste Gericht der kolumbianischen Stadt Medellín dem Rio Cauca eigene Rechte zugesprochen. Der rund 1.350 Kilometer lange Fluss, der am Ende via Rio Magdalena ins karibische Meer fliesst, soll nicht mehr nur den Menschen und ihrem Wirtschaften dienen, sondern als eigenständiges Rechtssubjekt wahrgenommen werden. Für den Rio Cauca bedeutet das Schutz, Erhaltung, Unterhalt und Reparation.

Wie das vonstatten gehen soll, wird sich allerdings erst zeigen müssen. Immerhin dient der Fluss heute Millionen von Menschen als Abwasserkanal und versorgt beispielsweise die Agrarindustrie mit enormen Mengen an Wasser, etwa im Zucker- oder Kaffeebau. Doch auch Wasserkraftwerke sowie Sand- und Gold-Minen werden durch den zweitwichtigsten Fluss des Landes gespiesen. Dem Rio Cauca eigene Rechte einzuräumen und diese dann auch durchzusetzen, dürfte angesichts einer auf Verschmutzung ausgerichteten Wirtschaft kein einfaches Unterfangen werden. 

 

Kein Minenbau, kein Glyphosat

Dasselbe gilt für Nariño, das erste der insgesamt 32 Departemente (Kantone) des Landes, das nur drei Wochen nach dem Urteil aus Medellín per Dekret entschieden hat, der Natur eigene Rechte einzuräumen: also nicht nur einem Fluss, sondern sämtlichen 39 Ökosystemen innerhalb des Departements; diese machen über elf Prozent der landesweiten Naturreservate aus, sie sind also nicht unbedeutend.  

Man habe diesen Schritt gewagt, um die Natur, das Wasser, das Territorium, die Menschen und letztlich das Leben zu verteidigen, liess sich der Gouverneur von Nariño in einer Video-Botschaft zitieren, die später in Facebook&Co. zirkulierte. Konkret: kein Fracking, kein Glyphosat, kein kontaminierender Minenbau.

Auch hier dürfte die Umsetzung schwierig werden. Denn in Nariño, das im Westen an den pazifischen Ozean und im Süden an Ecuador grenzt, werden landesweit die meisten Kokapflanzen angebaut – der Rohstoff für die Kokain-Produktion. Zudem stehen Teile des Gebiets unter der Kontrolle der Drogenmafia. Nariño gehört deshalb zu jenen Regionen des Landes, die im Rahmen des Plan Colombia* am stärksten von den staatlich finanzierten Sprüh-Flügen mit Herbiziden zur Zerstörung von Kokaplantagen betroffen waren. Mit all seinen negativen Folgeerscheinungen. 

 

“Für die globale Evolution lebenswichtig”

Und dennoch: Die lokalen Urteile und Initiativen aus Medellín und Nariño bestätigen die Tendenz, dass auch Kolumbien als Vertragspartner der Pariser Klimaziele von 2015 den Klimawandel ernst nimmt – zumindest auf lokaler Ebene. Gerade in juristischer Hinsicht hat sich das Land in den vergangenen Monaten immer wieder äusserst naturverbunden gezeigt. Im Departement Boyacá etwa, im Zentrum Kolumbiens, wurden dem Feuchtgebiet Páramo de Pisba ähnliche Rechte eingeräumt wie dem Rio Cauca. Und auch ein Gericht im Departement Tolima, südlich von Bogotá, hat vor kurzem drei Flüsse als Rechtssubjekte anerkannt.

Hinzu kommt das Urteil des Verfassungsgerichts, das 2018 dem kolumbianischen Amazonas-Gebiet Naturrechte zusprach, „einem Ökosystem, das für die globale Evolution lebenswichtig ist“, wie das Gericht schreibt. (…)

 

Hauptbild: Verfügt seit ein paar Wochen über eigene Rechte: Der Fluss Rio Cauca, auf diesem Bild noch weitgehend ohne Verschmutzung. (absolutviajes.com)