Wo die Piraten ihre eigenen Männer ersäuften

Mythen, Fische und viele Tote: Um die Inselgruppe los ahorcados vor dem Badeort Ayampe an der ecuadorianischen Pazifikküste ranken sich viele Geschichten. Wir haben den Ort besucht und uns von lokalen Fischern die Legenden früherer Zeiten erzählen lassen.

13. Januar 2020, Puerto López, Ecuador – Winston Churchill lebt an der Pazifikküste. Der Mann ist Mitte vierzig, Vater von fünf Kindern und grüsst auf spanisch, englisch, französisch, italienisch, holländisch, deutsch oder chinesisch. Alles auswendig gelernt, um den TouristInnen eine Schnorchel- oder Tauchtour rund um das Küstenstädtchen Puerto López schmackhaft zu machen. Russisch falle ihm am einfachsten, sagt Churchill und strahlt. Stolz zeigt er den französischen Reiseführer aus vergangenen Zeiten, die Seiten etwas vergilbt und mit Eselsohren. Und dort steht tatsächlich Winston Churchill drin, inklusive Telefonnummer.

Eine rundlichen Frau mit in Plastikmäppchen verpackten Strand- und Yachtbildern rief ihn herbei, nachdem sie gehört hatte, dass die Gäste zu los ahorcados fahren möchten – zu den Erhängten. Diese liegen rund 15 Kilometer südlich von Puerto López und demzufolge ausserhalb des gewöhnlichen Einzugsgebiets. Da muss Churchill ran. Als dieser erfährt, warum seine Gäste unbedingt dorthin wollen, sagt er ohne zu zögern: Ich werde euch die Geschichten zu den Erhängten besorgen.

Er sollte sein Wort halten.

 

Churchill muss an Land bleiben

Los ahorcados – Sie liegen vor dem Badeort Ayampe, dreissig Minuten südlich von Puerto López und drei Stunden nördlich von Ecuadors Wirtschaftsmetropole Guayaquil. Von weitem wirken die beiden Inseln wie ein Ehepaar, zwei händchenhaltende Felsen in der Brandung. Auf Google-Earth heissen sie Roca Piramidal de Desaparición Mágica – die Pyramiedenfelsen des magischen Verschwindens. Erst wer sich ihnen nähert, erkennt, dass es eigentlich drei Inseln sind, zusammen nicht grösser als ein Fussballfeld.

Eigentlich hätte Churchill auch mitkommen sollen. Immerhin hatte er sowohl das Boot als auch den Kapitän organisiert: Pedro, ein befreundeter Geschäftspartner mit abgeschlagenen Schneidezähnen und fröhlichen Augen. Der Diesel sowie das dazugehörende Motorenöl trieb Churchill kurz nach der Anzahlung eigenhändig in seinem barrio auf, ein etwas vernachlässigtes Viertel gleich am Hafen. Doch die rundliche Frau, die am Ursprung des Geschäftes stand, hatte Lunte gerochen und wollte wissen, wie viel Churchill für den Tripp einkassiere. Offenbar ging die Rechnung nicht auf und der Mann mit dem schütteren Haar blieb zurück am Strand. So läuft das bei uns, sagte er noch und schüttelte den Kopf. (…)

 

Hauptbild: Nur wenige hundert Meter von der ecuadorianischen Küste entfernt: Die Inselgruppe los ahorcados, Wohnort von Blaufusstölpeln und Pelikanen. (Marizu Robledo)