Tagebuch 2020, Woche 31: Freiheit

Politiker aus vergangenen Jahrhunderten mit Masken aus dem einundzwanzigsten: Roberto Andrade (1850-1938, links) neben Julio Andrade (1866-1912, rechts) im Park Julio Andrade in Quitos Zetrum, Januar 2021. – BILD: mutantia.ch

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12. Dezember – Freiheit

 

Vorausgesetzt das neuartige Corona-Virus hat seinen Ursprung in Wuhan, und vorausgesetzt China war sich mehr oder weniger im Klaren über die Wirkung, so dürfte es in Peking und Umgebung die eine oder andere Person geben, die sich ins Fäustchen lacht. Klar, in einem totalitären System ist es einfach, einem Virus den Garaus zu machen. Es wird einfach der Kontakt zwischen Menschen radikal unterbunden, man riegelt Millionenstädte ab, garantiert eine einwandfreie Internetverbindung, und wartet darauf, bis das Virus keinen Wirt mehr findet oder bestenfalls in Richtung Westen weitergezogen ist. Denn dort – sei es in Europa, Nord- und Südamerika oder Afrika – wird es ganz bestimmt auf fruchtbaren Boden stossen.

Dort kann man nicht einfach alle Menschen wegsperren, auch wenn das versucht wurde und wird. Der Staat spielt an diesen Orten zwar eine Rolle (zumindest in den Industrieländern) – und wie die vergangenen Monate gezeigt haben, ist diese nicht zu unterschätzen. Aber Freiheiten sind dort wichtiger als staatliche Eingriffe. Wer nicht zufrieden ist, hat theoretisch die Möglichkeit, auf der Strasse dagegen zu protestieren. Diese Realität, jene der freien BürgerInnen*, dürfte dem Virus gefallen. Schliesslich findet es so schneller mögliche AbnehmerInnen und WeitergeberInnen. Ein schnelles Ausrotten, wie dies angeblich China geschafft haben soll, wird es hier nicht geben. Die gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen sowie die sozialen Selbstverständlichkeiten einer auf Freiheit aufgebauten Sozialordnung lassen das nicht zu. Und das ist auch gut so.

China mag dies als Schwäche interpretieren und nutzt diese möglicherweise für seine eigenen Interessen. Wir im Westen hingegen tun gut daran diese Pandemie zum Anlass zu nehmen, uns ein paar grundsätzliche Fragen zu stellen, etwa zu unseren Abhängigkeiten im globalisierten Markt, insbesondere in Bezug auf China. Diese macht die rasante Ausbreitung von Pandemien erst möglich – und zwar so sehr, dass dies irgendwann auch unsere Freiheiten in Mitleidenschaft ziehen könnte.

Eine auf Freiheit aufgebaute Gesellschaft, das ist nicht neu, ist verletzlicher als ein Regime wie es China kennt. Ganz einfach, weil Freiheiten ein vulnerables Gut sind, und sie neben der viel zitierten Selbstverantwortung auch die Rücksichtnahme und den Schutz von und für die BürgerInnen bedingt – und zwar nicht nur in Zeiten der Pandemie.

*Angesichts der Ereignisse der vergangenen Monate liesse sich über diese Begriff-Definierung streiten, doch diesen Streit vertagen wir auf ein anderes Mal.

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