Ecuador: In illegalen Kliniken werden Schwule misshandelt

Was Homosexuelle in illegalen Kliniken in Ecuador durchmachen müssen, zeigt die Künstlerin Paola Paredes aus Quito in einer Fotoserie mit nachgestellten Bilder.  

Während in der Schweiz über die „Ehe für Alle“ diskutiert wird, haben Gesellschaften in anderen Teilen der Welt nach wie vor das Gefühl, dass Homosexualität eine Krankheit sei. Zum Beispiel in Ecuador. Landesweit funktionieren hier rund 200 Institutionen, die unter dem Deckmantel einer Klinik „Therapien für Schwule“ anbieten. Die vorwiegend jungen Frauen und Männer werden dabei oft von ihren eigenen Familien eingewiesen – falls nötig mittels Gewalt. Was sich danach in diesen Kliniken abspielt, weiss in Ecuador niemand so genau. Recherchen zum Thema sind rar, Informationen dringen nur ganz selten an die Öffentlichkeit.       

Eine, die dies ändern will ist Paola Paredes. Die Grafikdesignerin und Fotografin aus Quito recherchiert seit Jahren zu den clínicas, unter anderem mit versteckter Kamera. Seit 2015 hatte die 32-Jährige mehrere Frauen interviewt, die in solchen Kliniken gelebt haben und die nicht nur von Schlägen und Nahrungsentzug berichteten, sondern auch von „korrigierenden Vergewaltigungen“.
Das war genug für Paola. Sie,
die ihr eigenes coming-out in ihrer Familie einst fotografisch festgehalten hatte, und die Bilder unter anderem in Moskau, London, Washington, Neu Dehli und Caracas ausgestellt wurden, sie suchte nach Schauspielern, Fotografen und geeigneten Drehorten. Wenn im Inneren der Kliniken schon nicht gefilmt werden darf, so soll der Alltag eben nachgestellt werden.

Entstanden ist eine Fotoserie, bei der einem der Atem stockt.

mutantia.ch veröffentlicht an dieser Stelle die von und durch Paola Paredes inszenierten Bilder. Der untenstehende Text stammt von der Homepage von Paola Paredes., die Bildlegenden basieren auf Zeugenaussagen. “Hasta que cambies” (Bis du dich änderst) zeigt, was nicht gesehen werden sollte:
Die anhaltende Unterdrückung und Gewalt gegenüber Homosexuellen in Ländern wie Ecuador.          

 

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In Ecuador gibt es rund 200 Einrichtungen, legale und illegale, in denen Suchtprobleme wie Drogen und Alkohol behandelt werden. Unter den Patienten gibt es auch Frauen und Männer, die homosexuell oder transsexuell sind. Auch ihre als „Abweichung“ stigmatisierte Sexualität soll hier „geheilt“ werden. Diese Menschen werden gegen ihren Willen gefangen gehalten und sind sowohl emotionaler als auch physischer Folter ausgesetzt, wie beispielsweise Zwangsernährung, körperliche Gewalt und „korrigierende“ Vergewaltigungen.

Während sechs Monaten habe ich eines der Opfer interviewt, eine Frau, die in einer dieser Kliniken gefangen sass. Mit der Zeit stiess ich auf weitere Zeugen. Da es innerhalb dieser Zentren auf Grund der Abschottung unmöglich ist, zu filmen oder zu fotografieren, war klar, dass sich diese Geschichte nicht mit den traditionellen Mitteln der Dokumentation erzählen lässt.

Ich dachte: Wenn mich meine Familie nach meinem coming-out nicht akzeptiert hätte, hätte ich zu jenen Personen werden können, die zur „Heilung“ in diesen Institutionen landen. Beeinflusst durch dieses Gefühl, entschied ich mich, die verschiedenen Zeugenaussagen als Protagonistin in Form von Bildern widerzuspiegeln. Da ich in den Darstellungen meine eigenen Emotionen und Erfahrungen einfliessen liess, sollte das Ausmass des Missbrauches, dem diese Frauen ausgesetzt waren und sind, noch fassbarer werden.

Die Bilder erlauben das zu sehen, was eigentlich nicht gesehen werden sollte. Die Perversion in Form von Tabletten und Gebetsbüchern; das Regime der „erzwungenen Weiblichkeit“ mit übertriebenem Make-up, Mini-Röcken und Highheels; Folter mit Seilen oder Gummihandschuhen; die Einsamkeit der Haft; und die „korrigierenden“ Vergewaltigungen.

Eigentlich verbieten die ecuadorianischen Gesetze Behandlungen von Homosexuellen, und dennoch: Die Mehrheit dieser angeblichen Therapien geschehen weiterhin. Weder die Gesetze noch der Aktivismus haben die Einstellungen in meinem Land verändert. Bis das Menschenrecht zur sexuellen Orientierung oder die Geschlechteridentität anerkannt sind, existiert lediglich „diese Krankheit, die sie zu heilen versuchen“.

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Im Jahr 2012 hatte ich das erste Mal gehört, dass es in Ecuador private Kliniken gibt, die von sich behaupten, Homosexualität zu heilen. Mein erster Gedanke war, dass ich selber gefangen genommen werden könnte und sie mich als lesbische Frau dazu zwingen würden, mich zu ändern. Zwei Jahre später hatte ich mein coming-out gegenüber meiner Familie und wurde akzeptiert. In meinem Land gibt es viele Frauen und Männer, die nicht das selbe Glück haben.

Ich entdeckte, dass es rund 200 geheime Zentren gibt, die im Spannungsfeld progressiver Gesetze und konservativer Glaubenssätze operieren. In Ecuador sind achtzig Prozent der Bevölkerung katholisch und die Kirche vertritt nach wie vor äusserst konservative Werte. Homosexualität wird nicht gern gesehen. Bis 1997 waren Beziehungen zum selben Geschlecht illegal und konnten mit vier bis acht Jahren Gefängnis bestraft werden.

2011 wurde dann bekannt, dass dutzende von Zentren im Land „Heilung“ von Homosexualität anbieten. Heute schätzt man, dass rund 200 solcher Kliniken in Betrieb sind. Viele Eltern und Familien glauben nach wie vor, dass Homosexualität eine Sucht ist, ein sexuelles Chaos, von dem sie glauben, es könne über strenge Disziplin geheilt werden.

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Die ersten Rehabilitationszentren wurden in den 1970er Jahren eröffnet, also viele Jahrzehnte bevor irgendwelche Kontrollorganismen existierten, die diese Zentren hätten überprüfen können. Die Behandlungsmethoden in diesen Kliniken basieren auf dem Grundsatz: „Bis du dich änderst.“ Jahrzehntelang blieb die Brutalität dieser Praxis unbestraft. Angewandt wurden unter anderem folgende Methoden: Fesselung, Beruhigungsmittel, Schläge, Nahrungsentzug sowie andere entwürdigende Praktiken. Die meisten der Patienten wurden entführt und gegen ihren Willen unter Drogen gesetzt – meistens auf Anordnung der eigenen Familie.

Leider ist ein Grossteil dieser Zentren nach wie vor geöffnet und funktioniert unter dem Deckmantel einer „Klinik für Alkohol- und Drogensüchtige“. In den Zentren befinden sich tatsächlich auch Suchtkranke. Allerdings besteht eine wachsende Zahl von schwulen Frauen und Männern sowie Transsexuellen, die täglich in solche Zentren eingeliefert werden. Ein weiterer Grund, dass diese Zentren offen sind, ist die fehlende Kontrolle seitens des ecuadorianischen Staates. Dieser ist alles andere als strikt, wenn es um die Umsetzung von Regeln geht. Hinzu kommen Bestechungen und andere Formen der Korruption. Die Kliniken werden vorwiegend von ehemaligen Drogensüchtigen geleitet, in einzelnen Fällen geben Ärzte gar ihre Unterschrift, um dem Zentrum Glaubwürdigkeit zu verleihen. Einer der Gründe für das alarmierende Wachstum dieser Zentren, ist der finanzielle Gewinn. Immerhin belaufen sich die durchschnittlichen Behandlungskosten auf 500-800 Dollar pro Patient und Monat.

Mit Hilfe verschiedener Aktionsgruppen, der Unterstützung internationaler Medien und einer Petition hatte die Organisation change.org die ecuadorianische Regierung 2011 dazu zwingen können, konkrete Massnahmen zu ergreifen. In der Folge wurden rund dreissig Kliniken geschlossen. Ein paar Jahre später ist das Thema allerdings bereits wieder aus der öffentlichen Diskussion verschwunden – nicht etwa, weil alle Kliniken geschlossen wurden, sondern wegen des geringen Erinnerungsvermögens der ecuadorianischen Gesellschaft und der korrupten Politik, die es diesen Kliniken erlaubt, weiterhin zu operieren.

2015 war für mich der Moment gekommen, etwas zu unternehmen. Im Zeitraum von sechs Monaten hatte ich eine Frau interviewt, die von ihrer Familie in eine dieser religiösen „Kliniken“ eingewiesen und dort über Monate weggesperrt war. Mit der Zeit stiess ich auf weitere Zeugen. In den Interviews wurde von „Diagnosen“ gesprochen und von „Behandlungen“, die im Namen der Bibel stattfanden.

In meinem Versuch, den Betrachter in diese geheimen Einrichtungen zu bringen, funktionieren die dargestellten Szenen wie ein Spiegel des inneren Schmerzes der jungen Frau. Man sagt ihr, dass sie krank und eine Sünderin sei, eine vom Weg Abgekommene, eine, die Heilung bedürfe. Das Leiden gibt der Melancholie Raum, die Kamera ist der Verzweiflung ausgesetzt.

Es gibt nichts zu heilen.

Die Rechte dieser jungen Frau werden von der ecuadorianischen Regierung nicht geschützt. Diese Kliniken befinden sich getarnt und gut versteckt in abgelegenen Orten und kleinen Städten Ecuadors. In einzelnen Fällen werden die entsetzlichen Folterungen direkt in den Kirchen durchgeführt und sind für die Regierung deshalb schwierig zu orten. Doch in den schlimmsten Fällen ist die Regierung gar Komplizin.

 

Text und Bilder: Paola Paredes (https://www.paolaparedes.com)

Übersetzung ins Deutsche: mutantia.ch

Zusätzliche Informationen unter