Für Santiago Portilla ist nicht das Corona-Virus das Hauptproblem, sondern das schwache Immunsystem der Bevölkerung. Der Anthropologe und Naturheilpraktiker aus Quito spricht über Panik in Krisenzeiten, die limitierte Wahrnehmung westlicher Medizin und schlägt vor, unsere Gewohnheiten in Sachen Gesundheit grundsätzlich zu überdenken.
9. März 2020, Quito. – Das Corona-Virus ist vor gut einer Woche auch in Lateinamerika erstmals registriert worden. Am 29. Februar soll eine in Spanien lebende Frau das Virus auf ihrer Reise in die ecuadorianische Küstenstadt Guayaquil mit eingeschleppt haben. Gemäss Angaben des Gesundheitsministeriums (auf Spanisch) handelt es sich dabei um eine 71-jährige Frau, die am 14. Februar von Madrid her kommend nach Ecuador eingereist war, und damals keinerlei Symptome gezeigt hatte. Inzwischen haben sich in Ecuador 14 Personen mit dem Virus angesteckt, wobei ein Grossteil der Betroffenen Kontakt mit besagter Frau gehabt hatten. Bestätigte Fälle gibt es auch aus Brasilien (19), Argentinien (8), Chile (7), Mexiko (6), Dominikanische Republik (2) und je eine Person wurde bisher in Kolumbien, Peru, Costa Rica und Paraguay registriert (Stand Freitagabend – auf Spanisch).
Die Reaktionen in Ecuador waren ähnlich wie anderswo auf dem Planeten: Die Menschen reagierten verunsichert und hatten nebst einzelnen Hamsterkäufen zwischenzeitlich sämtliche Gesichtsmasken und Alkohol-Dispenser aufgekauft. Ausserdem hat die Regierung verordnet, die Kontrollen an den Grenzen zu Peru und Kolumbien zu verstärken. Währenddessen versuchte Alfredo Bruno vom Nationalen Institut für Gesundheitsforschung zu beruhigen. „Achtzig Prozent der Corona-Virus-Ansteckungen verlaufen ohne Probleme“, sagte der Epidemiologie-Experte und betonte, wie wichtig es sei, „die Risikowahrnehmung zu senken“ und das Immunsystem zu stärken. Seine Empfehlungen: gut essen, gut schlafen, sich bewegen und Stress vermeiden.
Denselben Rat gibt Santiago Portilla Rosales seit Tagen. Der Naturheilpraktiker und Anthropologe antwortet via Facebook&Co. auf die Zweifel seiner PatientInnen. Im Gespräch mit mutantia.ch betont der Direktor des Centro de educación para la vida (Bildungszentrums fürs Leben ) in Quito, dass nur Menschen mit geringen Abwehrkräften einem Gesundheitsrisiko ausgesetzt seien. „Lediglich fünfzehn Prozent der Betroffenen weisen Grippesymptome auf und lediglich bei vier Prozent sind die Symptome schwerwiegend.“ Ausserdem seien die meisten, die sich ansteckten und Probleme bekämen, ältere Menschen, die bereits gesundheitliche Probleme hätten. Gemäss Berliner Morgenpost, die sich auf chinesische Wissenschafter stützt, liegt die Sterblichkeit mit 10,5 Prozent bei Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen am höchsten. Danach folgende Menschen mit Diabetes (7,3), Atemwegserkrankungen (6,3) und Bluthochdruck (6).
Santiago Portilla, welches sind die häufigsten Fragen, die Sie zum Corona-Virus beantworten müssen?
Die Leute bitten mich um Empfehlungen, was sich gegen diese Epidemie unternehmen lässt. Sie sind besorgt, dass sie sich anstecken könnten und verlangen weitere Informationen.
Und was empfehlen Sie?
Zuerst sollten wir uns folgendes vor Augen führen: Solange wir niedrige Abwehrkräfte haben und mit einem geschwächten Immunsystem leben, werden wir uns nicht nur durch das Corona-Virus beeinträchtigt fühlen, sondern auch durch andere, wesentlich häufigere Infektionen – seien dies Atem- oder Harnwegserkrankungen, seien es Leber- oder Blutprobleme. Mit anderen Worten: Das Problem ist nicht der Corona-Virus, sondern unsere schwache Immunität.
Das klingt so, als ob es sich beim Corona-Virus um eines von vielen Gesundheitsproblemen handelt.
Richtig. Erinnern wir ans Jahr 2009 – da hatten wir eine Grippe-Pandemie. Oder 2003, also Sars auftauchte, ebenfalls ein Typ des Corona-Virus. Zudem hatten wir die Schweinegrippe und Ebola. Wenn wir also über ein starkes Immunsystem verfügen, dann kann uns auch das Corona-Virus nichts anhaben. Die Weltgesundheitsorganisation hat in ihren Publikationen 600 bis 700 Virenerkrankungen aufgeführt. 80-85 Prozent der Menschen, die an Cholera, Dengue-Fieber, Malaria oder anderen Tropenkrankheiten erkranken, weisen allerdings keinerlei Symptome auf.
Dennoch sind die Menschen vielerorts beunruhigt und haben nicht nur Gesichtsmasken und Alkohol-Dispenser aufgekauft, sondern sich auch gleich mit Nahrungsmitteln eingedeckt. Warum diese Reaktion?
Aufgrund fehlenden Wissens. Die Menschen haben kein Selbstvertrauen in ihren Organismus. Sie haben zwar Vertrauen in die Firma, bei der sie arbeiten, sie vertrauen ihren beruflichen und sozialen Fähigkeiten oder darauf, eine relativ liebevolle Beziehung zu ihrer Familie pflegen zu können. Doch sie haben kein Vertrauen in ihre Gesundheit. Denn diese hängt angeblich nicht davon ab, wie sie durchs Leben gehen. Wenn die Menschen also das Gefühl haben, sie seien nicht für ihre Gesundheit zuständig, dann sorgt eine bedrohliche Information oder eine Krankheit dafür, dass sie an dieser Situation verzweifeln und sofort um Hilfe von aussen bitten. (…)
Hauptbild: Hat die westliche Medizin aus verschiedenen Gesichtspunkten eingehend studiert: Anthropologe und Naturheilpraktiker Santiago Portilla aus Quito. (Emilio Bermeo/Radio Periférik)
+ + + Dieses Interview ist in Zusammenarbeit mit Radio Periférik aus Quito zustande gekommen. + + +