Den Faden wieder aufgenommen

In Augsburg versucht eine Unternehmerin, die Textilindustrie wieder in die Gänge zu bringen – mit Menschen, die als “nicht vermittelbar” galten. Was für Sina Trinkwalder das normalste der Welt ist, lässt ihre KollegInnen nur staunen. 

Dieser Text ist Teil des Buches „Hände der Transition“, das Ende 2017 auf Spanisch erschienen ist. Die deutsche Übersetzung soll bis Ende 2018 abgeschlossen sein. mutantia.ch publiziert in loser Folge Auszüge aus dem Buch.

Unbescheiden heisst es auf der Internetseite von Manomama: “Wir schöpfen Werte.” Und weiter: “Das gelingt nur, wenn es über unser Werksgelände hinausgeht. Deshalb produzieren wir radikal regional.”

Radikal Regional.

So deutlich traut sich das kaum jemand zu sagen, der einen seit Jahrzehnten ausgetrockneten Wirtschaftszweig zu reanimieren versucht. Oder besser: outgesourced. Ausgelagert in den Osten – Tschechien, Rumänien, Ungarn, Bulgarien oder direkt nach Asien. Sina Trinkwalder, Gründerin des Kleiderherstellers Manomama aus Augsburg, tut es dennoch. Bei ihr kommen die Web- und Strickgarne aus Nord-Rhein-Westfalen, die Schurwolle für die Tuchware aus der Oberpflalz und die Holzharz-Knöpfe aus Baden-Würtemberg – ein Abfallprodukt der Papierindustrie. Und selbst bei der Verpackung setzt die 40-Jährige auf Produkte aus der Region: ihre Jeans, Blusen oder Röcke werden in Kartoffelsäcke vom Bauern verpackt. “Nachhaltig ist ein Produkt erst dann, wenn die Wertschöpfungskette hier in der Region bleibt”, sagt die Unternehmerin. Nur die Biobaumwolle, die sich in hiesigen Breitengraden nicht anpflanzen lässt, bezieht die Firma aus der Türkei oder Tansania.
Manomama widerspricht damit den Vorstellungen von ÖkonomInnen, BankerInnen und BerufskollegInnen. Die haben sich daran gewöhnt, dass Textilien und Kleider in Übersee produziert, verarbeitet und verpackt werden und ihre Aufgabe eigentlich nur noch darin besteht, Transport, Import und Verkauf im europäischen Markt zu organisieren. Wie weit entfernt die KonsumentInnen heute von jenen Produkten stehen, mit denen sie ihre Körper bedecken, zeigt die beliebte Quizfrage zur Anzahl der  Erdumrundungen eines T-Shirt. Deren Beantwortung gehört heute genauso zum Allgemeinwissen wie das Bewusstsein, dass die eigenen Kleider oft von Kindern gegerbt, geschnitten und genäht werden.
Eine Realität in der Ferne, die Sina Trinkwalder lokal handeln liess.

Trister Alltag in Augsburg
Sina Trinkwalder ist Werbefachfrau und kommt selbst aus einer Unternehmerfamilie.  Sie ist Mutter eines elfjährigen Sohnes und hatte mit der Werbeagentur, die sie mit ihrem damaligen Mann betrieb, genügend verdient, um sich Anfang dreissig ein eigenes Haus bauen zu lassen. Auch dank eines Erbes. Doch Sina wollte nicht so weitermachen wie bisher. Ihr missfielen nicht nur die Umgangsformen in der Privatwirtschaft, sie sah auch den Alltag in Augsburg, wo sie seit ihrer Jugend lebt: die brachliegenden Industrieflächen, die Menschen vor dem Arbeitsamt, die verunsicherten MigrantInnen und Hartz-IV-EmpfängerInnen. “Ich sah,  wie sich die Situation von Jahr zu Jahr verschlechterte und wie die Gesellschaft auseinanderzubrechen droht”, erzählt sie. Bayern sei zwar das reichste Bundesland Deutschlands, aber Augsburg gelte als ärmste Stadt. “Es war klar, dass ich diesen Menschen helfen wollte”, sagt sie. “Ich wusste nur noch nicht wie.”

Hauptbild: Hat den Berufswechsel geschafft: Sina Trinkwalder in ihrer Kleiderproduktionsstätte Manomama im deutschen Augsburg. (Michael Schrenk)