Ecuadors PolitikerInnen hatten die Möglichkeit, die Rechte der Frauen zu stärken – und taten es nicht. Doch das Nein zur Abtreibung bei Vergewaltigungen ist kein Ja zum Leben, wie es die Kirche vorgibt. Denn wenn man sich die Gewalt-Statistik im Andenstaat ansieht, wird klar: Das Votum richtete sich direkt gegen die Frauen.
30. Septmeber 2019, Quito, Ecuador. – Was Mitte September in Ecuador geschah, hatte sich dreizehn Monate zuvor bereits in Argentinien abgespielt: Das nationale Parlament stimmte gegen die Entkriminalisierung der Abtreibung im Fall von Vergewaltigung oder Inzest. Während es für den Andenstaat die erste Ablehnung war, haben die PolitikerInnen am Rio de la Plata das gleiche Traktandum seit 2007 sieben Mal bachab geschickt. Und stets hatte dabei die Kirche ihre Finger im Spiel. Vertreten durch die Gruppierung ProVida (Für das Leben), bezeichnete sie die AbtreibungsbefürworterInnen als Mörderinnen und spielte mit einem zentralen Element der katholischen Glaubenslehre: der Schuld. So bat die ecuadorianische Bischofskonferenz nur drei Tage vor der Parlamentsabstimmung für „diejenigen zu beten, die, verwirrt oder unter Druck gesetzt, das Recht auf Leben verwehren wollen“ und fragte: „Wer sind wir, ein unschuldiges und wehrloses Wesen zu töten?“
Als Gegenfrage sei erlaubt: Wer sind wir, ein Mädchen oder eine Frau nach einer Vergewaltigung zur Geburt zu zwingen?
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Ximena Peña, die derzeitige Präsidentin der Justizkommission und damit Vertreterin der geplanten Strafrechtsordnung, die auch die Entkriminalisierung der Abtreibung im Fall einer Vergewaltigung oder Inzest vorsieht, mit 75 Ja-Stimmen gerechnet: fünf mehr als nötig. Aber am Ende stimmten lediglich 65 zu. Und während ProVida vor dem Parlament in Quito enthusiastisch feierte, riefen die Frauen auf der anderen Seite des Metallzauns: Mörder seid ihr! Denn jene, die bei heimlichen Abtreibungen sterben, sind die Frauen.
„Keine Dogmen oder Glaubenssätze in Gesetzestexten“
Marcela Aguiñaga (46), die Vorgängerin von Ximena Peña, hatte eine Debatte innerhalb des ecuadorianischen Parlaments erst ermöglicht. Dabei war sie 2014 als Vizepräsidentin des Parlaments noch der konservativen Linie von Rafael Correa gefolgt, einem Mann, der bis heute kategorisch gegen Abtreibungen ist. Nicht einmal eine Diskussion wurde unter dem autoritär agierenden Ex-Präsidenten zugelassen.
Doch Marcela Aguiñaga, die in den vergangenen Jahren ihren politischen Abstieg erlebte, begann ihre radikale Position zu überdenken und öffnete sich schrittweise der schmerzhaften Realität, der viele Frauen im Land ausgesetzt sind. Eine davon ist die Normalisierung der Vergewaltigung. „Ein Politiker muss erkennen, dass sich seine Kriterien im Laufe der Zeit ändern“, sagte Aguiñaga im Mai, nur wenige Minuten nachdem die Justizkommission das entsprechende Gesetzt genehmigt hatte. „Man wird sensibler und begreift, dass man als Parlamentarierin unabhängig von seinen persönlichen Überzeugungen agieren muss.“
Einer Journalistin antwortete sie damals, dass die Entscheidung der Kommission von grosser Offenheit und Reife zeuge: „Mir scheint, dass die Gesellschaft auf diese Realitäten sensibler reagieren muss und ich hoffe, dass wir eines Tages eine Gesellschaft des Friedens haben und nicht eine, die geprägt ist von Aggression und Gewalt gegen Frauen.“
Nach der Abstimmung gegen den Abtreibungsartikel blieb der Anwältin nichts anderes übrig, als per Twitter mitzuteilen: In Gesetzestexte gehören weder Dogmen noch Glaubenssätze, weder Demagogie noch Populismus. (…)