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18. Oktober 2021, El Bolsón, Argentinien
Feminismus & Ökologie: Kämpfe, die das Kapital nicht verdaut
Guten Morgen Leute
Aus meinem kleinen Lehm-und-Holz-Haus im Andenwald Patagoniens betrachte ich die Auswirkungen des argentinischen Frühlings, der trotz des morgendlichen Frosts zum Spriessen und Blühen ruft. Und ich beginne über die Zeit nach der Pandemie nachzudenken, wozu mich die KollegInnen des Post-Pandemic-Planets eingeladen haben.
Ganz ehrlich: Ich war anfangs fasziniert davon, daheim zu sein. Normalerweise fahre ich alle zwei Monate zu meiner 95-jährigen Mutter, die 2000 Kilometer entfernt wohnt. Doch es sagte mir im Herbst 2020 durchaus zu, im gemeinsamen Gemüsegarten mit meiner Nachbarin zu arbeiten, zu plaudern, mit ihr gut auszukommen. Oder vor dem Holzherd zu stricken, selbstgemachte Bücher zu nähen, zu schreiben und zu lesen – ohne Zeitdruck oder die Eile, kochen zu müssen. Ich weiss, dass die meisten Menschen eine harte Zeit durchmachten, unter Druck gesetzt im Homeoffice, eingesperrt in winzige Wohnungen.
Es kam zu vielen Feminiziden, Depressionen, Panikattacken, Vernachlässigung alter und kranker Menschen und es gab viele Menschen, die sich auf Grund der Einschränkungen nicht um ihre Gesundheit kümmern konnten. Und jene, die einen Großteil des Lebens in den Städten aufrechterhielten, stammten ausgerechnet aus den am meisten gefährdeten Sektoren. Es waren die Hausangestellten und die unter prekärsten Bedingungen schuftenden Liefersdienstleistenden, die für das Leben der Mittel- und Oberschicht sorgten – zumindest hier in meinem Land, wo Arbeitslosigkeit, Inflation und politischer Klassenkampf die Bevölkerung verarmen liessen.
Vielleicht wird ja jetzt, nachdem das gelebte Leid sichtbar wurde, das urbane Leben allmählich in Frage gestellt. Yayo Herrero López, Anthropologin und Ökofeministin aus Madrid, sagt, dass Grossstädte nichts produzieren, was der Nachhaltigkeit des Lebens dient. Aber letztlich werden genau dort die Entscheidungen für uns alle getroffen
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Zur Autorin
Adriana Marcus ist pensionierte Allgemeinmedizinerin und hat in Argentinien vor allem auf dem Land praktiziert. Die ehemalige Gefangene während der argentinischen Militärdiktatur (1976-1982) ist Autorin mehrerer Bücher zum Thema ganzheitliche Gesundheit sowie Teil eines selbstverwalteten Buchverlages („Apuntes para la cuidadanía“). Sie lebt in Patagonien.
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Warum, frage ich mich, mussten gesunde Menschen während Monaten millionenfach „unter Quarantäne“ gestellt werden? Es ist das erste Mal in der uns bekannten Geschichte der Menschheit, dass dies geschehen ist. Aus gesundheitlicher Sicht ist es sinnvoll, die Betroffenen auf die für ihre Genesung notwendige Ruhe hinzuweisen und die Nähe zu gesunden Menschen, die sich anstecken könnten, zu meiden.
Vielleicht war diese Entscheidung – die in Bezug auf die kollektive psychische Gesundheit, die Wirtschaft, die Arbeit, die Vernachlässigung älterer Menschen und die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen sehr kostspielig ist – eher politischer als gesundheitlicher Natur. Vielleicht wurde sie auch nicht auf der Ebene der nationalen Regierungen getroffen, sondern auf einer viel höheren Ebene. So geht regieren nunmal.
Wissen Sie, welche Erinnerung mich da gerade einholen? Jene zu den Malvinas (Falklandinseln). Sieben Jahre und sechs Tage nach dem Militärputsch in Argentinien am 24. März 1976 organisierte die Zentrale Arbeitergewerkschaft CGT (Confederación General de Trabajo) eine riesige nationale Mobilisierung „für Frieden, Brot und Arbeit“. Eigentlich mehr als lobenswerte Ziele, nicht? Doch auf die Delegitimierung der Demonstration folgte sofort eine grausame Repression. Und nur drei Tage später schickten die Machthaber um Diktator Jorge Rafael Videla (1925-2013) die Streitkräfte und Wehrpflichtigen in Richtung Malvinas, ein Gebiet, das wir als Territorium Argentiniens betrachten.
Eigentlich war dieses Manöver für den 9. Juli vorgesehen, dem Unabhängigkeitstag Argentiniens, also ein bedeutendes Datum. Man wollte durch die Rückgewinnung der Inseln gegen Grossbritannien eine zweite Unabhängigkeit feiern. Doch der Volksaufstand von Ende März 1982 kam dazwischen. Um diesen unsichtbar zu machen, schickte die genozide Diktatur, die zu diesem Zeitpunkt bereits breit in Frage gestellt wurde, das Militär Richtung Süden. Videla&Co. schürten dadurch auf seltsame Weise das fremdenfeindliche Feuer, das – wie wir wissen – die Menschen jenseits aller Vernunft vereint.
Es ist eine der grossen Lehren des Faschismus: ein riesiges, allgemeines Bedrohungsszenario zu schaffen, um einerseits die Menschen zu disziplinieren und andererseits sie zu vereinigen, sodass sie folgsam werden und ihre früheren Gefühle vergessen. Denn: Ein äusserer oder ein innerer Feind wirkt einend. Dies war der Fall beim Krieg um die Malvinas, der kurz und äusserst traumatisch war. Die kollektive Euphorie der ersten Tage schlug schnell in Empörung und schuldbewusste Gleichgültigkeit um, als die überlebenden Soldaten begannen, von ihren Erfahrungen zu berichten, und der Betrug aufgedeckt wurde.
Deshalb die Frage knapp vier Jahrzehnte später: Ist das Virus der unsichtbare und universelle Feind, der uns verbindet, und der uns die Zivilisationskrise, die Unfähigkeit des vernichtenden und selbstmörderischen neoliberalen Systems und die Krise von 2008 vergessen lässt und uns das Erwachen des Volkes – etwa die Aufstände in Ecuador, Bolivien oder Chile im Oktober 2019, die brutal niedergeschlagen wurden, oder die feministische Welle, die den Planeten erfasst hat – zu verbergen versucht, und damit auch der antipatriarchale, antikapitalistische und antikolonialistische Vorschlag, das Leben und nicht den Markt in den Mittelpunkt zu stellen?
Diesbezüglich möchte ich noch hinzufügen, dass in der Region, in der ich lebe, die Enkel der Indigenen, die den Genozid Ende des 19. Jahrhunderts überlebt haben („La conquista del desierto“), und die die Grundlage für die Gründung von Nationalstaaten bilden, daran sind ihre Sprache, ihre Kultur und ihr Land zurückzugewinnen und dadurch verdeutlichen, dass die Staaten nicht bereit sind, Wiedergutmachung für jene zu leisten, die als erste hier gelebt haben, und die sie auszurotten versucht hatten.
„Ich glaube, dass die Wissenschaft, die sich im Westen aus einer instrumentellen Logik entwickelt hat, die für das mechanistische Paradigma typisch ist, zu einer neuen Religion geworden ist.“
Was die Impfstoffe betrifft, teile ich Ihnen lediglich die Gründe für meine Entscheidung mit, mich nicht impfen zu lassen – wobei ich die Entscheidungen anderer respektiere, denn die Impfung ist fakultativ, und zwar deshalb, weil sie sich derzeit noch in einer Versuchsphase befindet. Siehe dazu auch die Nürnberger Protokolle in Bezug auf die ethischen Grundsätze bei der Einführung von Arzneimitteln. Dort heisst es, dass Freiwillige, die an einer experimentellen Studie teilnehmen – und dazu gehört die Impfung gegen Covid-19 –, über die Risiken informiert werden und wissen müssen, wohin sie sich im Falle von Nebenwirkungen wenden können, und dass sie aufgefordert werden, eine Einverständniserklärung zu unterzeichnen.
Es gibt vielfältige und widersprüchliche Informationen über die Impfstoffe. Doch abgesehen davon, dass mir die Nanotechnologie völlig fremd ist, veranlasst mich allein die Tatsache, dass ein Virus – ein Proteinpartikel, das Informationen in Form von DNA oder RNA enthält und zur Vermehrung die Infrastruktur einer lebenden Zelle benötigt, da es per se kein Lebewesen ist – unter Umgehung der natürlichen Eintrittswege durch eine Injektion in den Organismus gelangt und die natürliche Barriere der Haut verletzt, die Impfung abzulehnen.
Ich glaube, dass die Wissenschaft, die sich im Westen aus einer instrumentellen Logik entwickelt hat, die für das mechanistische Paradigma typisch ist, zu einer neuen Religion geworden ist. Wir vertrauen der Wissenschaft blind, und erwarten, dass sie uns von den fantastischen Ergebnissen ihrer Errungenschaften berichtet. Das menschliche Dasein hat sein Spiritualität verloren, mit der unsere Vorfahren in Beziehung standen; die Natur beispielsweise oder andere Lebewesen, mit denen sie zusammenlebten. Diese Entsakralisierung der Welt durch das wissenschaftliche Denken unserer heutigen Gesellschaft verwandelt die Subjekte (sämtliche Lebewesen) in Objekte und manipuliert die Natur durch Eingriffe, die ihre Physiologie und ihren Metabolismus ernsthaft verändern – und dies vor unseren naiven und vertrauensvollen oder eben blinden und gleichgültigen Augen. Um es in den Worten des katalanischen Musikers und Schriftstellers Joan Manuel Serrat auszudrücken: Die Wissenschaft „spielt mit Dingen, die nicht ersetzt werden können“. Dadurch umgeht sie der natürliche Lauf der Zeit, und betrügt dadurch unser Immunsystem.
Die Eingriffe, die wir Menschen zu unserem vermeintlichen Nutzen entwickeln – Stichwort Impfung –, greifen oft in physiologische Prozesse ein und schaffen neue Probleme. Und so zerbrechen wir uns den Kopf über die Suche nach weit hergeholten technologischen Lösungen, die in einer nicht enden wollenden Spirale von Komplikationen wieder neue Störungen hervorrufen. Davon sprach bereits die britische Autorin Mary Shelley (1797-1851) in „Frankenstein“, der durch Horrorfilme in seiner ursprünglichen Anprangerung verfremdet und verzerrt wurde.
Ich habe das Gefühl, dass der Impfstoff uns einerseits entlastet, es sich dabei aber um einen psychomagischen Akt handelt, der es uns ermöglicht, zu unserer geselligen, sozialen und gemeinschaftlichen Lebensweise zurückzukehren, die wir so sehr vermisst haben. Wir denken nicht viel darüber nach. Wenn es ausreicht, sich impfen zu lassen, um ein Leben wie früher führen zu können – reisen, Konzerte, Stadionbesuche, Fussball spielen, in die Schule oder Universität gehen, arbeiten – dann lasse ich mich impfen, und das war’s. Ich stelle lediglich meinen Körper zur Verfügung.
„Oder aber sie oder er lässt sich im Sessel der Bequemlichkeit nieder,
im Sessel des bereits Bekannten, und delegiert unser Schicksal an andere,
ähnlich wie es uns die repräsentative Demokratie und die TV-Superhelden lehren.“
Es gibt auch Menschen, die es vorziehen, nicht all zu viel zu fragen, und auf den Staat vertrauen. Sie fühlen sich von den Regierenden umsorgt und drücken sie in die Rolle eines Vaters, der ihnen Entscheidungen abnimmt und damit auch die Verantwortung für ihr eigenes Leben. Sie anerkennen, dass sie eigentlich nicht verstehen, worum es geht und lagern die Sorge um ihr Leben deshalb aus. Oder handelt es sich dabei möglicherweise doch um Bequemlichkeit, intellektuelle Faulheit, die Unmöglichkeit, eigene Gedanken zu entwickeln oder gar die Angst, aus der menschlichen Herde ausgeschlossen zu werden?
Tief im Inneren spielt die für die westliche Sichtweise so typische Angst vor dem Tod eine wichtige Rolle. Die Indigenen Lateinamerikas sehen das anders und wissen, dass der Tod zum Leben gehört, und dass wir Platz schaffen müssen für die, die nach uns kommen. Sie wissen, dass das Leben sterben muss, damit der Lauf der Zeit weitergeht – genau so wie wir es in der Natur beobachten können, die Natur, von der auch wir ein Teil sind. Kollektive Rituale, wie zum Beispiel der Tag der Toten in Mexiko, können sich so in festliche Ereignisse verwandeln.
Wie dem auch sei: Letztendlich tut jeder, was er kann, glaubt an das, was er glauben will, sucht und taucht, und geht weiter, bewusst und verantwortungsvoll. Oder aber sie oder er lässt sich im Sessel der Bequemlichkeit nieder, im Sessel des bereits Bekannten, und delegiert unser Schicksal an andere, ähnlich wie es uns die repräsentative Demokratie und die TV-Superhelden lehren.
Im Jahr 2020 fantasierte ich, dass Fidel Castro (1926-2016) vielleicht Recht hatte und dass wir „nur im Angesicht einer Katastrophe lernen“. Ich habe davon geträumt, dass die Stadt sich ihres Zustands als Parasit bewusst wird, dass sie die Bauernschaft, die sie ernährt, anerkennt, dass wir lernen, sparsam zu leben, auf das Wasser zu achten, verantwortungsvoll zu konsumieren, uns um die Abfälle zu kümmern, die wir erzeugen, unseren Konsum zu reduzieren, Solidarität mit denjenigen zu zeigen, die Hilfe brauchen, uns gesund ernähren, um gesund zu werden, anstatt uns mit Medikamenten zum Nutzen der Krankheitsindustrie vollzustopfen, bescheidener zu sein gegenüber anderen Formen, in denen sich das Leben ausdrückt: Tiere, Pflanzen, Gewässer, Berge beispielsweise. Ich träumte, dass wir erkennen, dass wir Teil des großen Netzes des Lebens sind, um davon auszugehen, dass wir verletzlich, voneinander abhängig – umweltabhängig – nur „ein Faden im großen existenziellen Gewebe“. Ich dachte, wir würden es besser machen.
Ich schätze, was wir erlebt haben, denn wir haben viel gelernt. Und ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass wir an Bewusstsein und Verantwortung gewonnen haben, an Respekt vor unserer Mutter Erde, Ñuke Mapu. Denn wir sind Teil der Natur. Ich bitte um Bescheidenheit und Dankbarkeit dafür, dass wir Teil des Ganzen sind!
Saludos desde Patagonia
Adriana Marcus
Übersetzung aus dem Spanischen: Romano Paganini
Foto: Privat