Gespräche vor der US-Botschaft in Quito zeigen: Die Faszination USA ist nach wie vor gross. Genauso wie deren Sicherheitsapparat. Eine Geschichte zum Vergessen, geschrieben in drei Kapiteln.
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Warum zieht es jährlich tausende EcuadorianerInnen nach Nordamerika? Und was machen sie in einem Land, das sich zunehmend gegenüber der Aussenwelt abzuschotten versucht? Mit diesen Fragen stellten wir uns vor die US-Botschaft in Quito. Doch bevor wir richtig mit der Arbeit beginnen konnten, wurden wir von der ecuadorianischen Polizei verwiesen. Die Gespräche und Fotos entstanden deshalb ausserhalb des von den USA definierten „Sicherheitsperimeters“.
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Kapitel 1 – Ein Geben, vor allem aber ein Nehmen
Die USA zieht Grenzzäune, sie lässt Migranten-Kinder medienwirksam einsperren und sie hat einen xenophoben Präsidenten. Und dennoch ist es nach wie vor jenes Land, wohin die meisten EcuadorianerInnen einreisen wollen. Über vierzig Prozent der hiesigen Emigranten migriert in die USA, dicht gefolgt von Spanien (37 Prozent). Auch Italien, Deutschland, Grossbritannien und die Schweiz figurieren unter den zehn ersten Ländern ecuadorianischer Migration.
An diesem Mittwochvormittag stehen wieder Dutzende Frauen und Männer am Eingang der US-Botschaft im Norden der Hauptstadt. Zwischen sieben und halb elf öffnen die Schalter, das heisst: Zuerst werden die AspirantInnen gruppenweise auf das Areal gelassen, vorbei an der Frau im Deuxpiece, die per Megafon die Menge auffordert, ihre Handys auszuschalten. Warten ist Teil des Visa-Erlangungs-Prozesses. Das Interview in der Botschaft, das darüber entscheidet, ob sie in das rund viertausend Kilometer nördlich gelegene Land eingelassen werden oder nicht, müssen sie alleine bestreiten. Nur Minderjährige, RentnerInnen und Menschen mit Behinderungen dürfen in Begleitung kommen. Aussortiert wird sowieso. Schnell und schmerzlos, wie auf einer Rinderfarm. Meistens dauern die Gespräche für ein Touristenvisum nicht länger als ein paar Minuten. Begründungen gibt es weder bei Zu- noch bei Absagen.
Die Hälfte der BewerberInnen, erzählt uns später ein langjähriger Beobachter ausserhalb des Sicherheitsperimeters, werden abgelehnt. Genaue Zahlen konnten wir nicht in Erfahrung bringen. Die Presseabteilung der Botschaft liess unsere Anrufe und Sprachnachrichten unbeantwortet.
Armut in den USA
Die Stimmung an diesem Vormittag ist angespannt. Geredet wird wenig und wenn, dann nur leise. Die AspirantInnen wollen nicht auffallen – und trotzdem tun sie es. Sie haben sich die Haare hochgesteckt und sind gut gekleidet. Nicht übertrieben, aber doch so, dass die BotschaftsmitarbeiterInnen erkennen, dass sie, die legal migrieren wollen (oder einfach nur reisen) aus gutem Hause stammen oder sich zumindest entsprechende Kleidung leisten können. Denn das ist einer der entscheidenden Faktoren für den Einlass: finanzielle Unabhängigkeit. Schliesslich hat die USA genügend eigene Probleme. Die Armutsquote des Landes ist gemäss
Recherchen der NZZ am Sonntag höher als in Sierra Leone oder Nepal. Zudem war die Lebenserwartung in den USA 2015
erstmals seit sechzig Jahren rückläufig. (…)
Hauptbild: Ein Hauch Autoritarismus mitten in Ecuadors Hauptstadt: Die US-Botschaft in Quito, fotografiert aus sicherer Distanz.
(Alejandro Ramírez Anderson)