Vor drei Monaten hat sich in Ecuador eine der grössten Erdöl-Verschmutzungen der vergangenen 15 Jahre ereignet. Die Umweltkatastrophe im Amazonasbecken ist im Zuge der Covid-19-Pandemie kaum erwähnt worden. Doch während zehntausenden Bauern und Indigenen die Lebensgrundlage entzogen wurde, entziehen sich die Verantwortlichen dem Gerichtsprozess.
7. Juli 2020, Quito. – Die Fotos der Familien, die entlang der Flüsse Coca und Napo im ecuadorianischen Amazonasbecken leben, sind erschreckend. Auf den Bildern, die von Indigenen- und Menschenrechtsorganisationen in Umlauf gebracht wurden, weiden abgemagerte Kühe und einzelne der Tiere sind verendet. Hinzu kommen vom Erdöl eingefärbte Uferläufe sowie menschliche Körperteile voller Blasen und Ausschläge. Auch Kinder mit roten Flecken auf Gesicht, Brust und Bauch sind zu sehen. Einzelne von ihnen haben eben erst laufen gelernt.
Ursache dieser Katastrophe ist der Bruch mehrerer Erdöl-Pipelines zwischen den Bohrlöchern im Osten des Landes und der Hauptstadt Quito. Dabei sind am Abend des 7. April 2020 mindestens 15.800 Fass Erdöl in den Coca-Fluss geströmt, rund 2,5 Millionen Liter. Das entspricht dem Volumen von knapp 21.000 Badewannen.
Am Ursprung steht der Wasserfall San Rafael, der mit seinen 150 Metern der höchste im Land war, und TouristInnen aus aller Welt angezogen hatte. Anfang Februar diesen Jahres kam es zur Erosion dieses Wasserfalls, und Geologen warnten damals, dass das Gelände durch rückläufige Erosion weiter abrutschen und nahestehende Infrastruktur gefährden könnte. Gemeint waren auch die Erdöl-Pipeline der staatlichen Erdölfirma Petroecuador sowie des privaten Unternehmens OCP (Compañía de Crudos Pesados Ecuador), die in der Nähe des Wasserfalls verlaufen.
Die Regierung war also gewarnt, sprach hinterher jedoch von „höherer Macht“. Begünstigt von der Covid-19-Pandemie, welche von der Umweltkatastrophe ablenkte, schob sie die Schuld auf ein „unvorhersehbares Naturereignis“ und entledigte sich so in der öffentlichen Wahrnehmung relativ schnell jeglicher Verantwortung – zumindest vorübergehend. Doch Ende April zogen die betroffenen Bauern und indigenen Gemeinden vor Gericht und forderten eine einstweilige Verfügung. Und obwohl dieses Rechtsmittel eigentlich dazu dient, schnell handeln zu können, wurde die Prozesseröffnung zuerst auf Ende Mai verschoben und Anfang Juni auf Geheiss des Richters komplett ausgesetzt. Seither warten die KlägerInnen auf Antwort der ecuadorianischen Justiz.
Hauptbild: Erdöl im Flusswasser: Der Rio Coca im ecuadorianischen Osten in den Tagen nach der Katastrophe. (Telmo Ibarburu)
Video zum Thema am Ende dieser Seite.
Die Erosion des Wasserfalls San Rafael zwischen Ecuadors Hauptstadt und dem Amazonasbecken im Osten des Landes, hat auch die dort verlaufenden Erdöl-Piplines mitgerissen: Bild vor Ort, wenige Tage nachdem die Erde weggerutscht ist. FOTO: Ivan Castaneira
Das ausgelaufene Erdöl sowie der Treibstoff haben ganze Uferläufe verwüstet, Fische vergiftet und ein Bild des Grauens hinterlassen: verschmutztes Ufer am Coca-Fluss, Anfang April 2020. FOTO – Telmo Ibarburu
Bis sich die Natur von der Katastrophe erholt, werden Jahre wenn nicht Jahrzehnte vergehen: vom Erdöl schwarz eingefärbte Pflanze am Uferlauf des Coca-Flusses. – FOTO: Telmo Ibarburu
Abgemagert, krank oder gestorben: Auch die Tiere, die sich vom Wasser der Flüsse Coca und Napo ernähren sind Opfer der Verschmutzungen geworden. – FOTO: Telmo Ibarburu
Der Fluss ist die Lebensgrundlage vieler Menschen in diesen Gebieten. Sie ernähren sich von den Fischen, trinken das Wasser und waschen ihre Körper. Auch Riten finden an den Flussufern statt. Doch seit dem Pipeline-Bruch ist alles anders und die BewohnerInnen haben auf Grund der Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie kaum noch genügend Lebensmittel: der Rücken eines lokalen Bewohners, übersät mit einem Ausschlag. – FOTO: Ivan Castaneira
Betroffen sind auch die Kleinsten: Nebst der ungenügenden Versorgung mit Lebensmitteln und Trinkwasser, der Covid-19-Pandemie, dem kürzlichen Ausbruch des Dengue-Fiebers sowie unzähligen Überschwemmungen auf Grund der starken Regenfälle sind die lokalen BewohnerInnen nun auch noch der massiven Verschmutzung durch ausgelaufenes Erdöl ausgesetzt: ein Baby mit Flecken am ganzen Körper. – FOTO: Ivan Castaneira
Performance, um die Verschmutzung dorthin zu bringen, von wo aus sie verursacht wird: dem Hauptsitz der staatlichen Erdölfirma Petroecuador in Quito. Mitglieder der Klimagruppe Extinction Rebellion Ecuador (XRE) hatte Ende Juni rund zwölf Liter „Erdöl“ beim Eingang der Firma verschüttet. Die Mischung, bestehend aus Glycerin und schwarzer Wasserfarbe wurde über die Treppe geleert und Delphine, Affen, Kühe, Frösche und Bauern symbolisch verschmutzt. – FOTO: Ivan Castaneira
Erdöl bedeutet für Ecuador viel Geld. Noch unter der Regierung von Rafael Correa (2007-2017) wurden auf Jahre hinaus die Reserven im Amazonasbecken an China verkauft. Im Gegenzug gewährte der asiatische Riese Kredite, mit denen unter anderem Infrastrukturen wie Autobahnen, Brücken und Häfen gebaut wurden. – FOTO: Ivan Castaneira
In den Städten, wo die Mehrheit der ecuadorianischen Bevölkerung lebt, ist die Erdöl-Katastrophe praktisch nicht wahrgenommen worden: Einer der Sicherheitsmänner von Petroecuador beim Hauptsitz in Quito betrachtet die Fotos aus dem Südosten des Landes. Wenige Minuten nachdem die Mitglieder von XRE die Bilder an den Fenstern angebracht hatten, wurden sie vom Sicherheitspersonal der Firma wieder entfernt. – FOTO: Ivan Castaneira
Pipline-Brüche wie jener beim Wasserfall von San Rafael sind trauriger Alltag im ecuadorianischen Amazonasbecken. Experten gehen davon aus, dass es wöchentlich zu einem solchen Ereignis kommt, wenn auch oft „nur“ in geringerem Ausmass. Auf dem Bild ist der Erdöl-Ausfluss von Mitte März in der Kleinstadt Shushufindi zu sehen. In diesem Falle hatten die Mitarbeiter der Erdölfirma Sandsäcke ausgelegt, um den gröbsten Teil abfangen zu können. – FOTO: Romano Paganini
Fussabdruck auf Lebzeiten: Bestimmte Bestandteile des Erdöls – notabene die giftigsten – sind unsichtbar und Wasser löslich, sprich: Sie werden in der Natur bleiben und via Fische und anderen Tieren in die Nahrungskette der Menschen gelangen und auf genetischer Ebene Langzeitschäden verursachen. Wie Forschungen aus der Vergangenheit gezeigt haben, dürfte zum Beispiel die Krebsrate in den betroffenen Gebieten ansteigen. – FOTO: Romano Paganini