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Gesundheit, globaler Süden, Interview, Rohstoffe, Umwelt und Rohstoffausbeutung
“Man versuchte meine Arbeit herabzusetzen”
Der Arzt César Paz y Miño hat den Zusammenhang zwischen der Erdölverschmutzung im Amazonas und Krebserkrankungen aufgedeckt. Ein Gespräch über öffentliche Gesundheit, die Verantwortung
des Staates und weshalb er sich als Wissenschaftler in Ecuador zuweilen unsicher fühlt.
Quito. – César Paz y Miño forscht nahe des Himmels. Der Direktor des Zentrums für Genetik und Genome an der Universität Tecnológica Equinoccial (UTE) in Quito hat sein Büro hoch oben am Hang, ganz in der Nähe des Sessellifts, der die Touristen Richtung Cerro Pichincha fährt, immerhin auf über 4.000 Metern über Meer. Die Eingänge der UTE werden von Männern in schusssicheren Westen bewacht, der Fussballplatz ist gepflegt und die Parkplätze riesig, kurz: Die UTE könnte auch in den USA stehen.
Der 61-jährige Vater einer erwachsenen Tochter sitzt an diesem Vormittag in einem viel zu grossen Ledersessel in einem geräumigen Büro im zweiten Stock. Früh hatte sich César Paz y Miño auf genotóxicos spezialisiert, also auf Giftstoffe, die die menschliche Genstruktur schädigen. Und davon gibt es in unserem industrialisierten Alltag so einige: von der Agrarindustrie (Pestizide) über die Pharmaindustrie (Röntgengeräte, Medikamente) bis hin zur Computer- und Autoindustrie (Rohstoffe). Auch deshalb hat sich Paz y Miño mit ihnen auseinandergesetzt. „Die wissenschaftliche Arbeit an einer Universität sollte in Zusammenhang mit den sozialen Problemen einer Gesellschaft stehen“, sagt der Arzt. „Man kann auch von der ‚Wissenschaft des Denunzierens‘ sprechen.“ Gemeint ist jene Form der Forschung, die in direktem Zusammenhang mit einem gesellschaftlichen Missstand steht, den die Forscher an die Öffentlichkeit bringen wollen.
Für besonderes Aufsehen hatte der Wissenschaftler 2008 gesorgt, als er belegte, dass die Kontamination durch Erdöl im ecuadorianischen Amazonas die Struktur von Chromosomen und der DNA verändert. Die Studie war ein wichtiges Argument im Prozess gegen die US-Erdöl-Firma Texaco/Chevron, die zwischen 1964 und 1990 ihre Industrieabfälle in Flüssen und Sumpfgebieten entsorgt hatte. Die Verschmutzungen von damals wurden nie behoben und schädigen Flora, Fauna und BewohnerInnen bis heute.
César Paz y Miño, vor kurzem hat das oberste Gericht Ecuadors den Klägern Recht gegeben und Texaco/Chevron dazu verurteilt, Entschädigungen in der Höhe von 9,5 Milliarden Dollar zu bezahlen. Wie interpretieren Sie als Arzt dieses Urteil?
Seit die Betroffenen in den 1990er Jahren Klage gegen Texaco/Chevron erhoben hatten, kam es innerhalb des Prozesses zu Missständen. Mittels Rekursen hatte die Firma immer wieder versucht, die Anklage zu desqualifizieren oder den Prozess ohne Urteil zu Ende zu bringen. Nachdem nun endlich ein Urteil vorliegt, kann man von einem Triumph für die Bevölkerung sprechen. Sie hat gewonnen. Ausserdem ist es ein guter Präzedenzfall, ein Alarmsignal an die gesamte Industrie, damit diese die Umweltstandarts einhält und für die Sicherheit der Bevölkerung sorgt. Nun müssen die verursachten Schäden repariert werden.
Ihre Studie war eines der Schlüsselargumente der Kläger. Warum haben sie damals begonnen, den Zusammenhang zwischen Erdölverschmutzung und Gesundheit zu erforschen?
Im Jahr 2008 gab es in Ecuador sowohl eine soziale Notwendigkeit als auch ein politisches Engagement mit Präsident Rafael Correa an der Spitze. Zudem gab es ein interessantes Forschungsfeld, das mit den Bedürfnissen der Menschen zusammenhing. Und wenn wie in diesem Falle eine reale Problematik besteht, dann müssen Studien durchgeführt werden. Das ist die Aufgabe von Institutionen der öffentlichen Gesundheit. Nur so erfahren sie, was mit den betroffenen Menschen los ist.
Welche Aspekte ihrer Forschungen scheinen Ihnen besonders bemerkenswert?
Wie direkt die Bewohnerinnen dem Erdöl ausgesetzt sind. Sie leben neben Kaminen und Bohrlöchern, wo ununterbrochen Gas verbrannt wird. Sie laufen barfuss durch Erdölverseuchte Gebiete, halten ihre Tiere neben Aufhaltebecken, wo Industrieabfälle deponiert wurden oder wo Erdöl ausgelaufen ist. Die Menschen hatten Hautprobleme, Allergien und überhaupt hatten wir grundsätzliche Veränderungen in ihrer Gesundheit festgestellt. Es gibt Studien, die belegen, dass sich die Krebsrate in den betroffenen Gebieten um das 130fache erhöht hat. Wir realisierten, dass diese Situation nicht alleine mit den sozial-ökonomischen Bedingungen zu tun hat – sprich Armut –, wie dies suggeriert wurde.
Sondern?
Es geht um die unmittelbare Nähe zur Erdöl-Industrie. Wir haben unsere Studien in drei verschiedenen Kommunen wiederholt und in allen drei haben wir Schäden in der Chromosomen-Struktur und der DNA der Bewohnerinnen und Bewohnern festgestellt. Heute bestehen praktisch keine Zweifel mehr, dass der Bruch in der Struktur von Chromosomen mit der Entwicklung von Krebs zusammenhängt. (…)
Hauptbild: Beschädigte Chromosomen-Struktur: Arzt César Paz y Miño vor einer millionenfach vergrösserten Zeichnung in seinem Büro in Quito. (mutantia.ch)