Tagebuch 2020, Woche 23: Meteorit – Suizid – Pujilí

Masken und Lanzen, Schminke und Handys: um den Jahrestag des Landesstreiks 2019 zu begehen und den dort Getöteten zu gedenken, sind vor allem die jungen VertreterInnen indigener Gemeinden aus Ecuador nach Pujilí angereist, Cotopaxi Oktober 2020. – BILD: mutantia.ch

* * *

13. Oktober – Meteorit

 

Ich habe seit einigen Tagen Schwierigkeiten zu atmen. Es ist nichts Konstantes und nichts Schlimmes, aber genügt, um mich zu stören. Es ist so, als ob ein Teil der eingeatmeten Luft nicht richtig verteilt werden könne. Und da ich dies schon im Mai hatte und später nochmals im Juli, und beide Male das Gefühl bekam, Covid-19 nun endlich eingefangen zu haben (ohne es allerdings abgeklärt zu haben), erlaube ich mir die Frage: Und wenn doch alles ganz anders ist, als uns erzählt wird? Vielleicht handelt es sich bei Covid-19 nicht um ein zu bekämpfendes Virus, sondern um eine neue Ära in der Menschheitsgeschichte, und unsere Körper sind lediglich daran, sich daran zu gewöhnen.

Es gibt abenteuerliche Theorien, wonach das Virus durch einen in den Massenmedien nie verkündeten Meteoriteneinschlag am 11. Oktober 2019 bei Wuhan ausgelöst worden sei. El Pais, immerhin eine der wichtigsten und grössten Tageszeitungen im spanischsprachigen Raum, hatte darüber berichtet, wenn auch ziemlich distanziert (auf spanisch). Die Theorie des britischen Wissenschaftlers Chandra Wickramasinghe, der diese in einem Artikel in der Wissenschaftszeitschrift Advances in genetics veröffentlicht hatte (auf Englisch): Ein Virus, dass sich weiss Gott wie viele Jahrtausende in einem durchs All schwebenden Gestein wach gehalten hatte und durch den Aufprall auf die Erde nun freigesetzt wurde und dass wir  – gerade weil es derart neu sein soll – auf Grund fehlenden Wissens nicht einzuordnen vermögen. China hatte offenbar das Pech, dass sich der Meteorit ausgerechnet diesen Teil des Planeten ausgesucht hatte und brauchte eine leicht verständliche Ausrede (Fischmarkt von Wuhan), um die tatsächlichen Hintergründe des Ausbruchs zu verheimlichen, und um Zeit im Umgang mit dem Virus zu gewinnen.

Heute, ein Jahr danach, hört man praktisch nichts mehr aus China. Die angebliche Zahl von knapp 3.000 tausend Toten hat sich nicht gross nach oben bewegt und die Menschen zwischen Peking und Shanghai sind weitgehend zu ihrem Alltag zurückgekehrt. Klar, vieles davon ist Propaganda, und was tatsächlich in China passiert, dürften nur jene wissen, die dort an der Macht sitzen. Dennoch scheint es auf Grund der öffentlich zugänglichen Daten bemerkenswert, wie glimpflich China weggekommen ist. Auch deshalb nochmals die Frage: Und wenn alles ganz anders ist und China auf Grund eines Wissensvorsprungs besser wusste, wie mit dem Virus umzugehen ist?

* * *

14. Oktober – Suizid

 

Das Video der Zeitung El Comercio zeigt eine Frau, wie sie auf’s Geländer einer Brücke klettert und zwischen Weinen und Schreien damit droht, sich in die Tiefe zu stürzen. Die Beamten, die die Situation filmen, reden ihr gut zu, doch die Frau mag nicht mehr. Wie Hunderttausende weltweit kämpft sie um ihre Existenz, hat kein Einkommen und kann deshalb ihre Miete nicht mehr bezahlen: ein menschliches Drama, wie es sich derzeit vielerorts abspielt. Aus früheren Jahren ist bekannt, dass die Suizidrate in Krisenzeiten nach oben geht. So stieg beispielsweise die Zahl der Selbsttötungen in Griechenland ab 2011 massiv.

In einem Moment der Unachtsamkeit stürmt einer der Beamten auf die Frau zu und reisst sie mit einer Umarmung vom Geländer. An diesem Tag wird sie sich nichts mehr antun, und erhält letztlich, was so viele in dieser Welt der Einsamem bräuchten: eine Umarmung. Auf dem Video ist nur noch die dunkle Jacke zu sehen, im Hintergrund das Schluchzen der Frau. Es ist die Verzweiflung einer Person, die innerlich schon mit ihrem Leben abgeschlossen hatte.

* * *

Zum Schutz der eigenen Führerinnen und Führer: die Guardia Indígena während der Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des Landesstreiks 2019 in Pujilí, Cotopaxi, Oktober 2020. – BILD: mutantia.ch

* * *

16. Oktober – Pujilí

 

Am Wochenende haben sich hunderte Menschen zu einer Gedenkveranstaltung in Pujili eingefunden, also jenem Ort in der Provinz Cotopaxi, von wo aus Inocencio Tucumbi Anfang Oktober 2019 losgezogen war, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Ein paar Tage später war er tot. Die Regierung behauptet bis heute, er sei hingefallen und habe sich dabei tödlich verletzt. Doch die Wahrheit ist, dass er von der Polizei ermordet wurde. Ich weiss: „Mord“ klingt hart. Aber die Polizei hatte ein Motiv und ihr Handeln war mit Absicht. Die Order von oben war klar: keine Rücksicht auf Verluste nehmen. Gemäss Angaben des eigenen Sohnes soll Tucumbis Kopf komplett zerstört worden sein, ob durch einen Kopfschuss oder vom Pferd zu Tode getrampelt, wird sich wohl nie restlos klären. Doch wer seine weinende Witwe gesehen und mit Nachbarn und Angehörigen des indigenen Führers gesprochen hat, der weiss, welch grosses Loch der Mann in seiner comunidad hinterlassen hat.

Bei der Gedenkfeier anwesend waren jene Köpfe der indigenen Bewegung, die den Landesstreik angeführt hatten, allen voran Jaime Vargas, Präsident der Konföderation der indigenen Nationalitäten Ecuadors und Leonidas Izas, Präsident vom Movimiento Indígena y Campesino de Cotopaxi. Beide zeigten sich kämpferisch, um nicht zu sagen kriegerisch. Und beide liessen keinen Zweifel daran, dass sie bereit wären, ihr Leben zu lassen, wenn es die Umstände nicht anders erlaubten.

Bis zum nächsten Aufstand der Indigenen scheint es eine Frage der Zeit. Persönlich bin ich froh, dass wir (wir Menschen) uns nach Monaten des Schweigens wieder zusammengefunden haben und wohl schon bald wieder massiv auf der Strasse für unsere Rechte kämpfen werden. Ich wünschte mir, dass wir dies ohne Gewalt tun könnten, bin mir gleichzeitig aber bewusst, dass dies schwierig wird. Die Staatsgewalt dürfte alles daran setzen, uns soweit zu provozieren und einzuschüchtern, bis die Krieger in uns wieder erwachen – nicht die Friedfertigen und Grosszügigen, sondern die Aggressiven und Blutrünstigen – und es zu einer Fortsetzung dessen kommt, was vergangenen Oktober mehrere Tote und tausende Verletzte gefordert hatte.

* * *