Verschleierte Sühne

Ketten an den Füssen, Kreuze auf dem Rücken und Strümpfe über dem Kopf: Am kommenden Freitag ziehen wieder tausende Menschen durch die Innenstadt Quitos, um der Kreuzigung von Jesus zu gedenken.

Quito. – Kaum ein anderes Ritual erinnert in Ecuador so stark ans Christentum wie die Prozession zum Karfreitag. Für Jesus el Gran Poder (Jesus den Allmächtigen) ziehen jeweils tausende Gläubige von der Basilika San Francisco durchs Zentrum der Stadt. Als Zeichen der Sühne tragen viele eine Ganzkörperverschleierung und bringen an diesem Tag ihre Reue unterschiedlichst zum Ausdruck. Die einen fesseln ihre Füsse an Ketten, andere haben ihre Oberkörper mit Stacheldraht umwickelt oder lassen sich nach der Messe an ein Holzkreuz binden. Sechs bis sieben Stunden dauert der Umzug, bei dem die Gläubigen – viele kommen Jahr für Jahr aus dem ganzen Land – darauf hoffen, von ihren „Sünden“ gereinigt zu werden und Erlösung zu finden. 
Washington Moreno ist einer der wenigen, der die Gesichter unter den sogenannten cucuruchos (Kegelkostüme) kennt. Der 62-Jährige rüstet jedes Jahr tausend der Gläubigen mit der violetten Uniform des Klosters San Francisco aus – und zwar seit über dreissig Jahren. „Ich habe die Gelegenheit, den Glauben in ihren Augen zu sehen“, hatte Moreno dem Magazin Ñam vor ein paar Jahren zu Protokoll gegeben. „Alle kommen hierhin, um ihren Glauben zurückzugewinnen, und ich gebe ihnen etwas, das sie glücklich macht.“

„Innere Pilgerfahrt“
Die PilgerInnen können sich in den Wochen nach Aschermittwoch für fünf Dollar beim Konvent registrieren lassen und werden dort auf die Prozession vorbereitet. „Denn es gibt einige“, sagt Washington Moreno, „die nicht wirklich wissen, warum sie überhaupt hier sind.“ Der Pfarrer erkläre dann im Gespräch, worum es gehe und sorge dafür, dass eine „innere Pilgerfahrt“ stattfinde, wie es Moreno nennt.
Mutantia-Fotograf Alejandro Ramírez Anderson war bei der Prozession 2018 dabei und hat diese in Bildern festgehalten. Sie illustrieren, wie der Glaube innerhalb der katholischen Kirche nach wie vor von Schmerz, Schuld und Sühne geprägt ist. (…)

Hauptbild: Das Jesuskind in der Hand und der „Sohn Gottes“ am Kreuz: Die sogenannten cucuruchos beim Sühnegang durch die Altstadt von Quito. (Alejandro Ramírez Anderson)