Der Schatz bleibt im Boden

In Kolumbien wehren sich die BürgerInnen per Volksabstimmung gegen die Ausbeutung von Rohstoffen wie Metall oder Erdöl – und stellen damit das Wirtschaftsmodell aus Kolonialzeiten in Frage. 

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Der folgende Text entstand 2017, wird heute aber zum ersten Mal auf Deutsch publiziert. Bereits damals machte das Gerücht die Runde, dass man in der kolumbianischen Hauptstadt daran sei, das Recht auf Volksbefragungen in Zusammenhang mit Rohstoff-Projekten einzuschränken. Vor knapp einem Jahr kam dann prompt die Bestätigung: Das Verfassungsgericht in Bogota sistierte die Entscheidung von 2016 und beschloss, dass BürgerInnen Bergbauprojekte fortan nicht mehr durch Volksentscheide verhindern können. Ein möglicher Grund für diese Kehrtwende: 2017 sind fünf von neun Richtern aus dem liberalen Block zurückgetreten und durch konservative Juristen ersetzt worden. Da die Volksbefragung im Dorf Pijao jedoch vorher stattgefunden hat, wird hier bis auf weiteres keine Goldmine gebaut.   

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9. September 2019 – Ohne Mehrradantrieb gehts oberhalb von Pijao nicht weiter. Die Schotterpiste, die die Gemeinde mit den Bergen verbindet, verwandelt sich schon bald in eine Mischung aus Feld- und Wanderweg und die Dämpfung des Jeeps wird so richtig beansprucht. “Das ist erst der Anfang”, sagt José Hernandez* (40) und klammert sich an das Stangengerüst des Fahrzeugs. “Weiter oben kommt man nur an trockenen Tagen hoch, der Weg ist sonst zu rutschig.” Zwei, drei Mal spulen wir auch heute durch, doch Fahrer Franco Hierro* (43), ein Jugendfreund von José, kennt das Territorium. Er bringt die Bergbewohner regelmässig runter nach Pijao, fünfundvierzig bis sechzig Minuten Fahrt, je nach Wetter.

Pijao erstreckt sich auf einer Fläche von 243 Quadratkilometern und ist damit etwas kleiner als der Kanton Genf. Der niedrigste Punkt liegt auf 1100, der höchste auf 3800 Meter über Meer. In der Gegen leben Bergpumas, Brillenbären, Wölfe, Füchse, Wiesel und Beutelratten. Auf Grund des verhältnismässig warmen Klimas wird das Tal auch von Zugvögeln genutzt. In den Zedern, Eichen und den palmas de ceras, dem Nationalbaum Kolumbiens, finden sie Nahrungsmittel und Ruheplätze. Die wenigen menschlichen BewohnerInnen hier oben nutzen die Bäume für das Renovieren ihrer Häuser oder als Brennholz. Schliesslich ist der Zugang zu anderen Rohstoffen auf Grund der Abgeschiedenheit äusserst schwierig. Man lebt hauptsächlich von der Viehwirtschaft und dem Kartoffelanbau. 

 

Skelette mit Goldschmuck gefunden

Nach einer guten halben Stunde erreichen wir schliesslich eine Anhöhe, von wo aus man in jenes Tal blickt, in dem sich der Schatz verbirgt. “Dort hinten”, sagt Franco und deutet mit der Hand Richtung Berg, “dort sollte die Goldmine eines Tages gebaut werden.” Viel ist an diesem Tag nicht zu sehen, zu tief hängt der Nebel in den Bäumen. Aber wer eine Goldmine schon auf Fotos oder auf Satelittenbildern gesehen hat und die weitgehend unberührten Täler Pijaos betrachtet, dem wird klar: Hätte die britisch-südafrikanische Firma Anglogold Ashanti (AGA) die Mine hier gebaut, ein Meteoriteneinschlag hätte nicht schlimmer sein können. “Ich habe drei Jahre lang als Fahrer in Chocó gearbeitet”, sagt Franco. “Ich habe gesehen, was eine Megamine für die Menschen und die Natur bedeutet und möchte nicht, dass sich das hier wiederholt.”

Chocó ist jenes Departament an der kolumbianisch-panamesischen Grenze, wo Goldminen seit Jahrhunderten ausgebeutet werden. Quecksilber vergiftetes Wasser gehört zum Alltag, genauso wie unbewilligte Minen, die von verzweifelten BewohnerInnen nach Gold abgeschürft werden und in denen sie bei Bergrutschen regelmässig zu Tode kommen. Bei knapp achtzig Prozent der Bevölkerung von Chocó sind die Grundbedürfnisse nicht gedeckt (1). “Der Reichtum, der den Minen entnommen wird”, sagt Franco Hierro und startet den Motor seines Jeeps, “bleibt nicht in der Region, sondern landet irgendwo im Ausland.” Zum Beispiel bei der AGA, dem drittgrössten Goldproduzenten der Welt. Oder aber in der Schweiz. Rund ein Drittel des in Kolumbien geförderten Goldes landet im Alpenstaat. (…)

 

Hauptbild: Sie haben gut lachen: Dank ihrer Hartnäckigkeit hat das kolumbianische Verfassungsgericht Volksabstimmungen in Zusammenhang mit Rohstoffausbeutung zwischenzeitlich erlaubt. In der Gemeinde Pijao, wo Initiantin Monica Flores (links) und ihre junge Mitstreiterin Estefania Herrera wohnen, ist das Volks-Nein gegen den Bau einer Goldmine jedenfalls anerkannt worden. (mutantia.ch)