Die Idylle wird zum Saustall und dann zum Olymp

Zehn Spiele in fünfzehn Tagen: Der Mundialito Indigena ist intensiver als eine Fussball-Weltmeisterschaft. Beim Turnier im ecuadorianischen Peguche geht es genauso wie bei der Fifa um Geld und Prestige. Besuch in einem Fussball verrückten Dorf, wo Indigene, Afroecuadorianer und Mestizen aufeinandertreffen und wo nur eines zählt: gewinnen.

17. März 2020 – Peguche (Otavalo), Ecuador – Vor den Finalspielen müssen die Linien frisch gestrichen werden. Der Regen der letzten Stunden hat Strafraum und Seitenlinien weggewaschen und den Penaltypunkt praktisch unsichtbar gemacht. Deshalb zeichnet nun Rubén die grünweissen Markierungen nach – und zwar von Hand. Mit Farbkessel und Pinsel schreitet er die sechzehn Meter ab, knapp zwei Stunden braucht er für den gesamten Platz. Seit sechs Uhr morgens ist Rubén auf den Beinen, also noch bevor sich die letzten Alkoholleichen vom Festgelände geschleift haben, um sich ein paar Stunden in die Horizontale zu begeben. Er räumt auf, putzt weg, und schleppt die Plastiksäcke zu den Mülltonnen. Un despelote, sagt er und taucht den Besenstil mit dem provisorisch festgeklebten Pinsel wieder in den Farbkessel: ein Saustall.

Hinter ihm jagen Kinder in Barcelona-Shirts vorbei und versuchen den Ball zwischen den beiden provisorisch aufgestellten Torpfosten zu versenken. In der anderen Platzhälfte spielen die U-14-Mannschaften um den Titel, sieben-gegen-sieben, und bei den Essständen rund um das kleine Estadio de Peguche werden Öfen angeworfen und die Kohle angezündet. Es ist kurz nach Mittag und ein paar Besucher versuchen ihren chuchaki bei Suppe und Maisfladen loszuwerden. Andere setzen auf eine weitere Flasche Bier.

 

Tochter ausgeschlossen, Vater kämpft ums Überleben

Rubén war vor zwei Jahren aus Venezuela nach Ecuador geflüchtet, zusammen mit seiner Familie. Während seine elfjährige Tochter auf Grund ihrer Herkunft von ihren SchulkameradInnen ausgeschlossen wird, verdingt sich der Vater mit Gelegenheitsjobs. Er bereitet unter anderem papelón zu, ein typisches Getränk aus seiner Heimat, bestehend aus Panela, Zitrone und Wasser, und verkauft es am Strassenrand. Der gelernte Kaufmann macht alles, was ihn überleben lässt: Putz- und Baustellenjobs, Parkplatzzuweiser. 

Papelón, ruft plötzlich jemand von weitem und Rubén dreht sich um. Es ist sein Vorgesetzter. Mit aufgeblähter Brust schreitet der kleine Mann mit Rossschwanz zum Sechzehner, wirft einen betont kritischen Blick auf die weissen Linien und bemerkt mehr sagend als fragend, wie lange er noch brauche, es stünden noch andere Arbeiten an. Rubén wird den Tag um 22 Uhr beenden und dafür 15 Dollar bekommen. 

Seit dem 15. Februar wird in Peguche, einem Vorort von Otavalo in Ecuadors Norden, Fussball gespielt. Und zwar jeden Tag mehrere Male und stets über neunzig Minuten. Es gibt zwei Gruppen à sieben Mannschaften, die jede gegen jede spielen. Für jene, die sich an diesem 29. Februar warmlaufen, es also unter die besten vier Teams geschafft haben, ist es das zehnte Spiel innerhalb von fünfzehn Tagen. Zum Vergleich: die Finalisten einer Fussball-Weltmeisterschaft spielen sieben Partien in einem Monat. Deshalb liegen die Spieler heute bereits in der Halbzeitpause auf den Boden und lassen sich von Mitspielern oder Betreuern die Beine ausschütteln. (…)

 

Hauptbild: Einer der drei Stiere, der auf die Sieger der Finalspiele im ecuadorianischen Peguche wartet: Im Hintergrund kämpfen die Nachwuchsteams um die vordersten Ränge. (Romano Paganini)