Ein Vulkan, auf dem es immer wieder zu Bränden kommt

Unser Haus steht in Flammen“, sagten vor einem Jahr Aktivistin Greta Thunberg und zahlreiche PolitikerInnen. Sie bezogen sich auf die Waldbrände im Amazonas. Seither sind weltweit tausende von Quadratkilometer Wald abgebrannt, auch in Ecuador. Im August brannte unter anderem der Hausberg von Quito. Nun versuchen BiologInnen, Behörden und Nachbarn die Flora und Fauna des Ilaló besser zu schützen – und es gegen die Immobilienmafia zu verteidigen.

28. September 2020, Olalla (Ilaló)/Quito – Während die Familie Arcos drinnen zu Mittag isst, fressen sich draussen die Flammen still und heimlich den Berg hinauf. Da der Wind zunächst in die andere Richtung bläst, haben auch die Hunde nichts von dem Feuer mitbekommen. Erst als der Rauch plötzlich auf das Haus zuzieht, beginnen die elf Tiere zu bellen. Doch da hatte sich das Feuer bereits auf dreissig Meter ans Haus herangearbeitet.

Als sich Gloria und ihre Kinder der Situation schliesslich gewahr werden, greifen sie sofort zu Kessel und Schläuchen und versuchen den Boden rund um ihr Daheim zu kühlen. „Wir hatten nicht einmal Zeit, schockiert zu sein“, erinnert sich Gloria Arcos einen Monat später, während sie über die verbrannte Erde ihres Grundstücks schreitet. Die einzig überlebenden Pflanzen, die an diesem wolkigen Tag Ende August zu sehen sind, sind die Eukalyptus-Bäume, die Penco-Pflanzen, die Quishuares der Gattung Sommerflieder, die Mimosa quitensis, die Trompetenblume sowie eine Schlange, die sich in einem Schacht versteckt hält, in dem sich normalerweise Regenwasser sammelt. Sofern es regnet.

Die Nachbarn von Gloria, die ebenfalls betroffen waren, versuchten eine halbe Ewigkeit lang die Feuerwehr zu rufen, doch diese war mit einem Feuer weiter nördlich beschäftigt. Am Ilaló, dem Hausberg der ecuadorianischen Hauptstadt, brennt es an diesem 4. August 2020 gleich an zwei Orten. Für beide Feuer sind Menschen verantwortlich. Im Quartier Leopoldo N. Chávez soll es sich gemäss Anwohnern um Brandstiftung gehandelt haben, in Olalla hingegen, dort wo Gloria Arcos und ihre Familie lebt, scheint es sich dagegen um einen Unfall zu handeln. Die Nachbar schafften es zwar, ihre Häuser zu schützen, nicht aber das Grundstück. Das Feuer zerstört im Laufe des Tages fünf der sieben Hektare von Gloria.

 

„Am Ilaló ist es üblich, Land durch gelegte Feuer zu entwerten, um es dann zu überbauen und Jahre später zu einem höheren Preis wieder zu verkaufen“.

Xiomara Izurieta,
Biologin und Mitglied des Kollektivs Ilaló Verde

 

Die Feuerwehr kommt am Ende doch noch, „allerdings nur, weil sie das Feuer mit jenem im Norden verwechselt hatte“, sagt Gloria. Sie versprechen ihr, am kommenden Tag wieder zu kommen, um Haus und Land weiter zu kühlen. Doch die Männer kehren nicht zurück: nicht am Vormittag, nicht am Nachmittag, und auch nicht in den folgenden Tagen – ein Verhalten, das bei Bränden am Ilaló dazugehört. Die Feuerwehr kümmere sich um den Schutz von Leib und Leben und rücke aus, wenn Häuser gefährdet seien, nicht aber, wenn es um Land oder Wälder gehe, erzählt Gloria.

Gloria Arcos musste tags darauf Nachbarn und Freunde aufbieten, um die weiter schwelenden Brände um ihr Haus zu löschen: von Hand, auf eigenes Risiko und ohne Unterstützung der Feuerwehrleute. „Das Warten auf die Inspektion der zuständigen Behörde hat einen schalen Nachgeschmack hinterlassen“, sagt sie wütend – und sieht dabei eher verzweifelt aus. Die Endfünfzigerin bezieht sich auf eine interne Untersuchung der Feuerwehr, weil diese zum Brand Anfang August kein Protokoll verfasst hatte; die Ergebnisse der Untersuchung stehen noch aus.

Der Vulkan aus der Vogelperspektive: Quitos Vorstädte Tumbaco und Cumbaya im Norden sowie Sangolqui im Süden des Ilaló haben sich bis an den Fuss des Berges ausgebreitet. – QUELLE: Ilaló Verde

Der Vulkan Ilaló, der seit Jahrhunderten kein Magma oder Asche ausgespuckt hat, liegt am Stadtrand von Quito und erhebt sich zwischen 2.340 und 3.179 Meter über dem Meeresspiegel, je nach dem, wo man misst. Der Berg trennt die Täler Chillos im eher feuchten Süden und Tumbaco-Cumbayá im vorwiegend trockenen Norden, funktioniert also als geographische Barriere und gilt als Insel der Biodiversität. Er ist Zufluchtsort für viele Tiere, die vor der Zementwüste fliehen, die sich während der vergangenen Jahrzehnte an den Hängen des Vulkans ausbreitet hat.

Vor zehn Jahren hatte es auf dem Gelände von Gloria Arcos schon einmal gebrannt. Und ähnlich wie damals war der Grund eine aus Kolonialzeiten stammenden Praxis in der Landwirtschaft: das Verbrennen des rastrojos. Es geht um jene „Landwirtschaftsabfälle“, die anderswo auf dem Planeten zu Kompost verarbeitet werden. Es ist der schnellste Weg, wie sich Bauern von den Resten der Mais- oder Erbsenernte entledigen. Doch die Konsequenzen können verheerend sein, insbesondere während der trockenen und windigen Sommermonate. Da reicht ein Funke für die Katastrophe. So ähnlich soll es sich vor knapp zwei Monaten zugetragen haben, als eine Nachbarin Glorias rastrojo von der Maisernte anzündete – nachdem es seit Wochen kaum geregnet hat und der Wind an diesem Tag besonders stark blies.

 

Keine Ranger mehr auf dem Ilaló

Diese Landwirtschafts-Praxis, die gemäss ExpertInnen einst von Spanien nach Lateinamerika eingeschleppt worden war, ist jedoch nur eines der Probleme am Ilaló. Ein anderes besteht in der Einseitigkeit des Anbaus, wie Xiomara Izurieta sagt. Damit meint die Biologin und Spezialistin für die Planung von Umweltschutzgebieten die Monokulturen. Durch diese Einseitigkeit bei der Wahl der Kulturpflanzen verlieren die Böden ihre Nährstoffe, was gerade bei starken Regenfällen fatale Folgen hat. Denn das Wasser sickert auf Grund fehlender Struktur im Boden nicht in die Erde und bereichert dadurch die unteren Schichten, sondern rast oberflächlich in Richtung Tal. „Die dadurch verursachte Trockenheit in den Böden wiederum begünstigt Brände wie jene von Anfang August“, sagt Izurieta. Doch leider sei das Wissen der Vorfahren zum Anbau von Nahrungsmitteln verloren gegangen. „Deshalb hatten wir am Ilaló zu Beginn der Pandemie gar einen Ernährungsnotstand.“

Die kolonialisierte Landwirtschaft und ihr wenig nachhaltiger Umgang mit der Natur ist der eine Grund für die Waldbrände am Ilaló, die Gier der Immobilienmafia ist der andere. Seit dem Bau der Autobahn Ruta Viva in den Jahren 2013 und 2014, die den neuen Flughafen im Tumbaco-Cumbayá-Tal mit Quito verbindet, sind die Landpreise angestiegen, genauso wie die Bautätigkeit. Xiomara Izurierta, die vor sieben Jahren für die Verwaltung der ecuadorianischen Hauptstadt einen Bericht dazu verfasst hatte, warnte bereits damals, dass die Urbanisierung am Ilaló „aufgrund des grossen Drucks von seiten des Immobilienmarktes überproportional und ohne angemessene Planung wächst“. Heute sagt die Biologin, die Mitglied von Ilaló Verde ist, einem Kollektiv zur Konservierung des Vulkans: „Am Ilaló ist es üblich, Land durch gelegte Feuer zu entwerten, um es dann zu überbauen und Jahre später zu einem höheren Preis wieder zu verkaufen“.

Die Pflanzen und Bäume, die den Brand vom 4. August 2020 im Viertel Olalla im Nordosten des Ilaló überlebt haben: die Pencos aus den Anden (oben) sowie die aus Australien eingeschleppten Eukalyptusbäume (Mitte). Aus der Luft wird das Ausmass der Katastrophe erst richtig sichtbar. Auf dem Bild unten, das zehn Tage nach dem Brand aufgenommen worden war, ist rechts aussen auch das Haus von Gloria Arcos zu erkennen. – BILDER: Nicolás Riofrío

Beim Brand im Quartier Leopoldo N. Chávez war dies der Fall. Es bestehen sogar Foto- und Videoaufnahmen, die die Brandstiftung dokumentieren. Einer der Beteiligten, so heisst es seitens Ilaló Verde, soll ein stadtbekannter Immobilienhändler sein. Für Xiomara Izurieta ist es kein Zufall, dass der Brand in derselben Gegend ausgelöst wurde, in der während der Quarantäne ein chaquiñán, ein kleiner Fussweg in eine Strasse für Lastwagen ausgebaut worden war – mitten in einem Schutzgebiet. So besagt ein ministeriales Abkommen aus dem Jahre 1988, dass oberhalb von 2.600 Metern über Meer sämtliche Bautätigkeiten am Ilaló untersagt sind. Das bedeutet, dass der Berg auf einer Fläche von 3.374 Hektar Land unter Schutz steht; das entspricht der Fläche von rund 4.700 Fußballfeldern.

Doch Papier und Praxis sind seit je her zwei Paar Schuhe, nicht nur in Ecuador. Und angesichts der Tatsache, dass die ecuadorianische Landesregierung mitten in der Quarantäne den Bau einer Strasse durch den Yasuní-Nationalpark zugelassen hatte, der mehrere Plattformen zur Erdöl-Ausbeutung miteinander verbindet, ist es nicht überraschend, dass die Immobilienmafia in der Hauptstadt nach ihren eigenen Regeln spielt.

Hinzu kommt, dass auf dem Ilaló seit Jahren keine Kontrollgänge mehr durch die Gemeinde finanziert werden. Die sechs Personen, die einst als Ranger patrouillierten, wurden während des Autobahnbaus durch einen Hubschrauber ersetzt. Doch dieser hatte gemäss Xiomara Izurieta einen ganz anderen Effekt: „Nun legten plötzlich Kinder Feuer, weil sie wussten, dass sie so den Hubschrauber zu Gesicht bekommen würden …“

 

Die Gemeinde will das Verbrennen nicht verbieten

Juan Carlos Avilés, der Vorsteher des Umweltsekretariats von Quito, bevorzugt es, sich nicht zu den Entscheiden früherer Verwaltungen zu äussern. „Der Hubschrauber diente zur Brandbekämpfung, doch jene, die sich um den Ilaló kümmern müssen, sind die eigenen BewohnerInnen“, sagt Avilés, der sein Amt im November vergangenen Jahres angetreten hatte. „Zudem sind wir ständig mit motorisierten Patrouillen unterwegs, um Kontrollen durchzuführen.“

Offenbar betrachtet die aktuelle Stadtverwaltung den Schutz und die Konservierung des Ilalós als Priorität. Denn nur wenige Tage nach dem Brand in Olalla sandte das Umweltsekretariat mehrere Arbeiter zum Gelände von Gloria Arcos, um dieses zu säubern und Gräben als Brandschutz auszuheben. „In Zusammenhang mit dem Ilaló müssen wir unsere Strategie klarer definieren, sodass alle davon profitieren“, sagt Juan Carlos Avilés über WhatsApp. „Aber vor allem müssen wir ihn schützen, schliesslich ist er die Lunge dieser Stadt.“ In Bezug auf die Landwirtschaftspraxis zeigt sich der Ingenieur hingegen pragmatisch. „Der Einsatz von Feuer an sich ist nicht schlecht; einzelne Arten brauchen das Feuer sogar, um überleben zu können. Allerdings sorgt der Mangel an technischen Kenntnissen sowie das Nicht-Begleiten durch die Behörden dafür, dass es schwierig ist, solche Feuer zu kontrollieren, ohne dass sie auf das Land der Nachbarn oder gar auf Schutzgebiete übergreifen.“

Dennoch will die Stadtbehörde kein Verbot. Allerdings ist die Nutzung und der Schutz des Bodens sowie der Einsatz von Feuer in einer Verordnung geregelt, die derzeit ausgearbeitet und Ende 2021 präsentiert werden soll. Juan Carlos Avilés weist darauf hin, dass es nicht dasselbe ist, an einem sonnigen Tag mit viel Wind einen zwei bis drei Meter hohen rastrojo-Haufen zu verbrennen, wie nachts bei wenig Wind eine fünfzig Zentimeter dicke Schicht. „Wir müssen hart daran arbeiten, diese Informationen an die Gemeinschaft weiterzugeben und mit den Menschen, die vor Ort leben, zu Vereinbarungen zu kommen. Auf Grund des Landhandels besteht jedenfalls ein hoher Druck, den Ilaló weiter zu urbanisieren.“

Mit einem “Pencatlon” hoffen Gloria Arcos und die Mitglieder des Kollektivs Ilaló Verde, Geld und Pflanzen zu sammeln, um vor der Regenzeit rund 10.000 der Sukkulenten-Pflanzen ausbringen zu können. Sie dienen unter anderem als Feuerbarrieren. Ein Arbeiter der Stadtverwaltung beim verpflanzen eines Pencos. – BILD: Nicolás Riofrío.

Im Quartier Olalla riecht es auch einen Monat nach dem Brand nach wie vor nach Kohle und Asche. Gloria Arcos geht, begleitet von ihren Hunden, schweigend über die verbrannte Erde. Bei jedem Schritt tönt es so, als laufe man über ein frisch verschneites Eisfeld. Dabei sind es die verkohlten Überbleibsel von Wiesen und Büschen, die beim Aufsetzen der Schuhsohle in sich zusammenbrechen.

Inmitten dieses Bildes der Apokalypse spriessen einerseits junge Gräser, an denen sich die Hunde wie Kälber laben, um den Darm zu reinigen. Andererseits stehen dort jene Überlebenden, die dafür sorgten, dass das Feuer nicht noch weiter um sich griff: die Pencos. Die Sukkulenten-Art stammt aus den Anden und hält dank der Flüssigkeit in ihren Armen auch hohen Temperaturen stand. Sie wird auf dem Grundstück von Gloria als Feuerbarriere auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. „Um zusätzlich Schutzwälle aufzubauen, brauchen wir ungefähr zehntausend weitere Pencos“, sagt Gloria beim Gang über die verbrannte Erde. „Wir hoffen, diese noch vor der Regenzeit pflanzen zu können, um so das Auswaschen der Böden zumindest teilweise zu verhindern.“

Währenddessen hat das Kollektiv Ilaló Verde Empfehlungen zur Regeneration des Landes zusammengestellt. So soll mit Hilfe eines leichten Traktors zusätzliche Struktur in den Hang gebracht werden, um ihn einfacher bewirtschaften zu können. Auch soll die Rinde von Eukalyptusbäumen als Mulch ausgebracht werden, um den Boden mit Nährstoffen zu versorgen. Geplant ist, Brombeeren und Kakteen zu pflanzen: beide einheimisch und feuerresistent. Ausserdem sollen die Gräben rund ums Gelände so ausgehoben werden, dass ein künftiger Brand nicht auf das Land von Gloria Arcos übergreifen kann.

 

PolitikerInnen bedienen sich der Sprache der Indigenen

Als vor gut einem Jahr die Brände im Amazonas weltweit für Schlagzeilen gesorgt hatten, sagten nebst Aktivistin Greta Thunberg diverse PolitikerInnen: Unser Haus steht in Flammen. Sie bedienten sich damals der Sprache und den Wertvorstellungen der indigenen Völker und Nationalitäten, die Mutter Erde als lebenden Organismus verstehen. Es ist ein Organismus, der nicht erst seit 2019 in Flammen steht. Er brennt seit Jahren: von Bolivien, Brasilien, Peru, Paraguay und Argentinien über das südliche Afrika bis nach Portugal, die Ukraine, Russland, Australien und in jüngster Vergangenheit Kalifornien sowie die Küstenregion Ecuadors. Der Ilaló ist Teil dieser langen Liste. Und wie im Amazonas spielen auch hier die Eigeninteressen von ein paar wenigen Personen, die sich auf Kosten der Natur bereichern wollen, eine Rolle. Im Amazonas geht es um die Erschliessung neuer Landwirtschaftsflächen für den Anbau von Soja und die Zucht von Vieh für den chinesischen Markt, am Ilaló sollen neue Luxusüberbauungen entstehen, ähnlich, wie dies bereits anderswo im Tal der Fall ist.

Noch ist der Brand keinen Monat her, und schon spriesst das Gras wieder durch die verbrannte Erde: Gloria Arcos’ Hunde beim Reinigen ihrer Körper, 28. August 2020. – BILD: Romano Paganini

Die Besitzer, die Gloria und ihrer Familie Ende der 1990er Jahre die sieben Hektare Land in Olalla verkauft hatten, wiesen damals darauf hin, dass diese Fläche auf Grund ihrer steilen Hänge wenig attraktiv sei. Doch Glorias Familie versuchte, die Fläche durch Permakultur aufzuwerten.

Nun steht Gloria Arcos zum zweiten Mal innerhalb von zwanzig Jahren vor dem Nichts. „Viele Menschen sprechen über Bewusstsein, Schutz und Respekt für die Natur“, sagt sie und schiebt fragend hinterher. „Aber wann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir wirklich aufwachen?“

 

Text: Romano Paganini

Hauptbild: Stets in Begleitung ihrer Hunde: Gloria Arcos auf ihrem Grundstück, zusammen mit den Pencos, die sie nach dem letzten Brand 2010 ausgepflanzt hatte, und die letztlich dafür sorgten, dass das Feuer vom August diesen Jahres nicht weiter um sich gegriffen hat (Romano Paganini).

Korrektur: Katharina Hohenstein