„Für ein gesundes Kollektiv braucht es gesunde Menschen“

Jorge Calero ist Biologe, Vater, Sufist und Mitbegründer einer Öko-Community im Südwesten Kolumbiens. Für ihn sind Kriege und Pandemien Teil der menschlichen Evolution. Er betrachtet es sogar als notwendig, dass sich einige Menschen und Gruppen opfern, damit die Spezies überleben kann. Ein Gespräch über die Grenzen des gewaltfreien Widerstandes, die Bedeutung der ersten Atombombe und wie persönlich es werden kann, wenn es um Frieden geht.

15. Juni 2022, Atlántida (Popayan), Kolumbien. – „Was im Weg liegt, ist der Weg“: Dies sind die Worte von Samuel L. Lewis (1896-1971), Sufi-Meister, Friedensaktivist und Gärtner aus Kalifornien. Lewis ist Begründer der universellen Friedenstänze, einer spirituellen Praxis zur Harmonisierung von Körper, Geist, Atem und Stimme. In den 1930er Jahren in den USA gegründet, schwappten sie ein paar Jahre später schliesslich nach Europa. 

In Lateinamerika finden sich die Tänzerinnen und Tänzer fast überall: Von Argentinien bis Venezuela, von Mexiko bis Ecuador. Auch in Kolumbien gibt es Gruppen. Nach zwei Jahren Pandemie-bedingten Ausfalls trafen sich im April rund 140 Personen aus verschiedenen Teilen der Welt, um in der Öko-Community Atlántida, im Südwesten des Landes, gemeinsam zu tanzen, zu singen, zu meditieren. Dabei ging es auch darum, andere Lebensweisen kennenzulernen, etwa die Kunst der gewaltfreien Kommunikation oder Soziokratie, eine Organisationsform zur konsequenten Umsetzung der Selbstorganisation. Die zentrale Botschaft des Camps 2022: Unsere negativen Gedanken nicht weiterspinnen und dadurch den Teufelskreis des Leidens durchbrechen.

Mitorganisator des jährlichen Treffens ist Jorge Calero Arjun. Der 44-jährige stammt aus der Millionenstadt Cali und lebt seit über zehn Jahren auf dem Land, ausserhalb der Stadt Popayán. Calero war Mitbegründer der Öko-Community Atlántida und beteiligte sich am Aufbau des Netzwerks der Ökodörfer in Kolumbien und Lateinamerika. Nach einer Woche tanzen sagt Jorge Calero Arjun im Gespräch: „Der soziale Friede beginnt mit dem inneren Aufbau eines jeden Menschen. Wir können das Kollektiv nicht aufbauen, wenn es keine gesunden Individuen gibt“.

 

Jorge Calero Arjun, „Tänze des universelle Friedens“ klingt gut, nur: Was genau bedeutet Frieden?

Frieden ist weder die Abwesenheit von Konflikten noch Schmerz oder Problemen. Frieden, sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene, ist die Fähigkeit, mit den dem Leben innewohnenden Schwierigkeiten umzugehen, ohne dass wir dadurch gefangen genommen werden, wir uns also bewusst sind, dass das Leben kein perfekter Himmel auf Erden bedeutet. Das Leben ist kein Zuckerlecken: geboren werden ist schwierig, die Erde zu bewirtschaften ist schwierig, sterben ist schwierig. Letztendlich geht es aber darum, wie wir damit umgehen.

 

Nun, wie geht man damit am besten um?

Die Frage ist: Wie können wir unsere Reaktivität steuern? Wie gehe ich beispielsweise mit einer Schwierigkeit um, wenn diese in meinem Leben auftaucht? Wichtig ist, dass wir zwischen dem, was in unserem Kopf und dem, was in unserem Körper passiert, unterscheiden können. Der unzulängliche Umgang mit einem Konflikt, einer Störung unseres Lebens, einer Reaktivität besteht darin, ihn vom Kopf lösen zu wollen. Dadurch beginnen wir Meinungen und Versionen der Geschichte zu weben, die dann an das angepasst werden, was wir fühlen. Aber zuerst müssen wir das Gefühl in unserem Körper identifizieren – und zwar sobald wir den inneren Frieden verloren haben. Der Körper ist die Instanz, womit Konflikte aufgelöst werden können. Wenn wir einmal gelernt haben, Konflikte individuell zu bewältigen, können wir dazu beitragen, dass dies auch auf Gesellschaftsebene geschieht. Aber wir können das Kollektiv nicht aufbauen, wenn es keine gesunden Individuen gibt, das ist ohnehin klar.

 

Ist es das wirklich?

Ja, ich denke, das ist klar. Wir können kein gesundes System haben, wenn die Teile des Systems, die es bilden, nicht gesund sind.

“Wir sind nach wie vor davon besessen, die Natur zu dominieren”: Jorge Calero, Mitgründer des Ökodorfs Atlantida ausserhalb der kolumbianischen Stadt Popayán, während der Friedenstänze im April 2022.

Was bedeutet das auf der Makroebene, für die Gesellschaft?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst über die kollektiven Traumata in der Geschichte der Menschheit sprechen. Wenn wir die Menschheit als ein einziges sich entwickelndes Wesen betrachten, könnten wir sagen, dass wir eine sehr lange Kindheit hatten, in der wir lernten zu krabbeln, zu gehen, auszuprobieren und zu sprechen. Wir haben gelernt, mit Feuer umzugehen, in Gesellschaften zu kooperieren und Hierarchien innerhalb eines Clans zu respektieren. Aber damals beherrschten wir noch nicht die Technik und die Werkzeuge, und wir standen nicht an der Spitze der Ernährungspyramide, im Gegenteil: Wir befanden uns ganz unten bei den Aasfressern. Die Löwen jagten, die Hyänen frassen die Reste und wir kämpften mit den Geiern um das, was übrig blieb. Denn die Geier konnten wir immerhin mit Stöcken und Steinen verscheuchen. Was uns letztlich rettete – auch dank dem rudimentären Umgang mit Steinen – war das äusserst nahrhafte Knochenmark dieser Kadaver. Die anderen Tiere hatten dazu keinen Zugang.

 

Und wo sehen Sie das kollektive Trauma, von dem Sie sprechen?

Während der Inkubationszeit der menschlichen Spezies – wir reden von Tausenden und Abertausenden von Jahren – standen wir am unteren Ende der Nahrungspyramide und waren der Gefahr ausgesetzt, von Fleischfressern gejagt zu werden. Unsere Vorfahren haben sich über Generationen hinweg den Gefahren gestellt und versucht, sich mit einem brennenden Stück Holz zu verteidigen. Sie gerieten in Panik, weil sie wussten, dass die Bedrohungen aus dieser natürlichen Welt kommen und ihr Baby, ihr zehnjähriges Kind, ihre Frau oder sie selbst töten könnte.

 

Mit anderen Worten: Jahrtausendelang haben wir aus Angst gehandelt.

Tausende von Generationen haben in einer unglaublichen Zerbrechlichkeit gelebt und waren völlig traumatisiert. Dann, als wir die Basis der Pyramide verliessen und zu hochrangigen Raubtieren wurden, da begann die Geschichte. Davor würde ich von der Prähistorie sprechen.

 

Und dann begannen wir schliesslich selber zu töten.

Wir begannen, über die technologischen Fähigkeiten zu verfügen, und handelten unbewusst von unseren Traumatas und unserem Sicherheitsbedürfnis. Was sich zunächst in Waffen wie Pfeil und Bogen manifestierte, entwickelte sich zu Burgmauern und im vergangenen Jahrhundert schliesslich zur Atombombe. Heute rechtfertigt jeder Präsident dies unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit. Wir haben ein Bedürfnis nach Zuflucht, das tief aus unserem Inneren kommt, weil wir das obengenannte kollektive Trauma nie geheilt haben. Deshalb haben die Sapiens, als sie mit vollem Einsatz ihrer Fähigkeiten in verschiedene Teile des Planeten zogen, alles zerstört. Und das geschieht bis heute – selbst da wo ich lebe. Ich sehe die Jungs, die mit Macheten in den Busch gehen und jede Schlange, der sie begegnen, sofort töten. Wenn sie zu den Indigenen gehen, geschieht das Gleiche, frei nach dem Motto: Wildnis gleich Gefahr. Eine Spinne, töte sie! Ein Skorpion, töte ihn! Und in einem grösseren Rahmen, zum Beispiel einem Wald: Rode ihn! Ein Sumpf: trockne ihn aus! Wir sind nach wie vor davon besessen, die Natur zu dominieren, weil wir als Kollektiv nicht geheilt sind. Ich frage dann jeweils die Jungs: Warum tötet ihr die Schlange? Und sie antworten: Was, wenn sie giftig ist? Anstatt zu recherchieren und mit diesen Tieren zusammenzuleben, ziehen wir die Atombombe vor, will heissen: Zerstörung statt Respekt.

Nach einer zweijährigen Pause trafen sich die Tänzerinnen und Tänzer des Friedens wieder, um die heiligen Tänze verschiedener Kulturen aus aller Welt zu zelebrieren.

Apropos Nuklearwaffen: Seit Februar herrscht in Europa wieder Krieg, und die unmittelbare Bedrohung durch die Zündung einer Atombombe ist zurückgekehrt. Wenn wir beim Vergleich bleiben, dass die Menschheit verschiedene Lebensphasen durchläuft, wäre dann die Atombombe Teil unserer Pubertät?

Ja, das kann man so sagen. In der Tat war die erste Atombombe in Hiroshima im Jahr 1945 sehr wichtig! So konnte die Menschheit ihre eigene Zerstörungskraft erleben und realisierte: Hoppla, das war zu viel! Wir dachten, dass das Problem nach dem Kalten Krieg im vergangenen Jahrhundert gelöst worden wäre, aber jetzt zeigt uns Putin, dass das gar nicht stimmt. Tatsächlich haben wir weder die Atombombe noch den Klimawandel oder andere mögliche Katastrophen gelöst. Und Covid-19 ist Teil des Ganzen.

 

Übertragen wir diese Analyse auf die zahlreichen Umweltkonflikte in Lateinamerika: Der Kampf gegen den Bergbau zum Beispiel ist ein Kampf des Widerstands. Doch ist Widerstand nach wie vor die richtige Medizin, um den Invasoren im 21. Jahrhundert entgegenzutreten? Immerhin versucht die Menschheit die Pubertät hinter sich zu lassen.

Erstens dauert diese Transition von der Pubertät ins Erwachsenenalter nicht Jahre, sondern Jahrzehnte. Irgendwann werden wir sagen können: Ah, jetzt verstehe ich. Was die Widerstandskämpfe in Lateinamerika betrifft: Ich glaube, die Herausforderung für die Indigenen, die am meisten über Widerstand und Invasoren sprechen, besteht nicht nur darin, Widerstand zu leisten. Die Präsidentin der verfassungsgebenden Versammlung in Chile, die vor einigen Wochen die Eröffnungsrede gehalten hatte, war eine Mapuche. Und in Ecuador hat die indigene Bevölkerung schon Präsidenten gestürzt. Dank des Widerstands konnten sie diesen ersten Teil des Kampfes erreichen: nämlich das Problem der Unterdrückung sichtbar zu machen.

 

Worauf wollen Sie hinaus?

Dass der Kampf noch nicht vorbei ist. Widerstand zu leisten ist nach wie vor notwendig, um sich Respekt zu verschaffen. Aber wir können nicht im Widerstand verharren. Ein Teil der indigenen Bewegung denkt schon länger über die Dekolonialisierung nach. Wie werden wir uns von der westlichen Mentalität befreien? Es gibt sogar bereits Leute, die darüber nachdenken, wie wir das Dekoloniale loswerden können.

 

“Die Einheimischen haben eine äusserst seltsame Vorstellung von uns. Manche halten uns für eine Sekte. Und das ist ja nicht einmal so fernab, wenn man bedenkt, dass hier – wie während den Friedenstänzen im April – sich über hundert Menschen an den Händen halten und den Namen Gottes auf arabisch singen”.

 

Bislang handelt es sich um emanzipatorische, freiheitliche Bewegungen. Aber wir müssen konstruktiv bleiben – und da treffen dann so unterschiedliche Akteure zusammen wie indigene Bewegungen, Bauern und Leute aus der Stadt, die Ökodörfer auf dem Land aufbauen. Die Frage lautet: Wie werden wir auf indigenem Territorium – sagen wir es mal etwas bombastisch – unter postdekolonialen Bedingungen etwas aufbauen können? Und hier kommt jene Lebensauffassung ins Spiel, die wir unter Buen Vivir kennen, oder Sumak Kawsay. Jedoch nicht nur jenes Buen Vivir auf dem Papier, sondern jenes, das in den Kommunen in die Realität umgesetzt wird.

 

Atlántida gilt als beispielhaft, wenn es um die Öko-Dorf-Bewegung in Lateinamerika geht. Wie war es möglich, dass Ihr euch – meist aus den Städten kommend und mit einer urbanen Mentalität – zusammen mit den lokalen Kommunen versöhnen konntet, auch angesichts des bewaffneten Konflikts im Departement Cauca?

Es war sehr schwierig, ist sehr schwierig und wird sicherlich auch weiterhin schwierig bleiben.

 

Was genau?

Das Zusammenleben. Die Einheimischen haben eine äusserst seltsame Vorstellung von uns. Manche halten uns für eine Sekte. Und das ist ja nicht einmal so fernab, wenn man bedenkt, dass hier – wie während den Friedenstänzen im April – sich über hundert Menschen an den Händen halten und den Namen Gottes auf arabisch singen. Natürlich wirkt das seltsam! Andere halten uns für ein Rehabilitationszentrum für Drogensüchtige. Und wiederum andere denken, wir seien ein ökologisches Zentrum für Naturschutzgebiete. Aber dass wir in Wirklichkeit eine Gemeinschaft sind, und das besiedelte Land allen gehört, das passt nicht in die Köpfe der Menschen dieser Region, die überwiegend bäuerlich geprägt ist. Das war manchmal ein bisschen schwierig für mich, denn man sagte: Jede Finca hat einen Besitzer, und der Besitzer von Atlántida ist Jorge Calero. Und da wir uns in der Wildnis befinden – hier kommt nicht einmal die Polizei vorbei – ist es für mich ein bisschen riskant … (Pause) Es war nicht einfach bisher, aber der Bau eines Ökodorfs ist nicht unmöglich.

 

Wie haben Sie den Kontakt zwischen Atlántida und den örtlichen Kommunen hergestellt?

Einmal im Monat kommen Leute aus der lokalen Bevölkerung, die an unseren Schwitzhütten-Ritualen teilnehmen – kostenlos. Sie nehmen Medizin mit uns* oder sie kommen zu einem Workshop oder einem unserer Kurse. Da treffen dann die Bauern zum Beispiel auf Indigene. Atlántida hat sich tatsächlich zu einem Treffpunkt für lokale Akteure entwickelt, die sich einerseits Sorgen um ihr Land machen, und andererseits Lust darauf haben, Neues kennenzulernen. Ausserdem hat uns die örtliche Regierung eingeladen, am kommunalen Umweltausschuss teilzunehmen. Hier setzen sich die verschiedenen Akteure der Gemeinde zusammen, um über die ökologische Zukunft der Region nachzudenken.

“Die wichtigste politische Botschaft dieses Camps der Friedenstänze ist die angemessene Antwort auf eine Situation. Und diese Antwort erscheint dann, wenn man auf die Realität nicht aus der Aufregung heraus reagiert, sondern aus der Weisheit, aus dem Zentrum des eigenen Seins”: Jorge Calero Arjun. 

Als Sie 2010 in die Region kamen, kam es noch zu Schusswechseln zwischen den FARC-Rebellen und der lokalen Bevölkerung. Was hat Atlántida in diesem bewaffneten Konflikt überleben lassen: Widerstand oder Resilienz?

Resilienz. Wir befanden uns jedenfalls nie in Opposition zu irgendetwas. Andernfalls hätten wir Stellung beziehen müssen. Und wenn wir Stellung bezogen hätten, wären wir ein militärisches Ziel geworden. Wir haben also nie eine Anti- oder Pro-FARC-Position eingenommen. Letztlich sind wir an politisch-militärischen Positionen nicht interessiert. Zu unserer eigenen Sicherheit müssen wir die Neutralität wahren. Wenn die Armee hierher kommt, wie es schon vorgekommen ist, und ein Lager aufschlagen will, sagen wir ihr, dass sie hier nicht bleiben kann. Und wenn wir einen Befehlshaber anrufen müssen, dann rufen wir eben einen Befehlshaber an. Hier kann kein bewaffneter Akteur bleiben. Die Ökodörfer sind neutrale Gebiete.

 

Neutralität war also ihre Überlebensstrategie. Was sagen Sie anderen Kommunen in Lateinamerika, die Gewalt ausgesetzt sind, etwa durch Invasoren der Erdölindustrie, des Bergbaus oder der Holzindustrie? 

Es bringt nichts, nach einem allgemein-gültigen Rezept zu suchen. Für jede Situation gibt es eine angemessene Antwort. Innerhalb des sich entwickelnden menschlichen Kollektivs gibt es Menschen, deren Aufgabe darin besteht, sich mit dem Schwert in der Hand zu erheben, ganz einfach weil sie sich wehren müssen. Jene, die sich in einer solchen Situation befinden, müssen diesen Kampf aufnehmen, denn letztlich geht es um die Würde und die Rettung der menschlichen Natur.

 

“Wenn ich eines Tages meinen Krieger aktivieren muss,
um aufzustehen und zu kämpfen, dann werde ich das bestimmt tun.”

 

Mahatma Gandhi (1869-1948) und Martin Luther King (1929-1968) propagierten den gewaltfreien Widerstand. Sie erwähnten eben, dass notfalls auch das Schwert zum Einsatz kommen sollte. Halten Sie es also für legitim, dass gewisse Gebiete in gewissen Momenten mit Waffen verteidigt werden?

Wie soll ich den Indigenen des Amazonas sagen: Seht her, der Kampf ist gewaltfrei, schliesslich hatte Gandhi einmal gesagt … Nein! Die Indigenen spielen dort eine Rolle – und zwar eine Rolle des Aufstands für die Menschenwürde im Namen von uns allen. Persönlich befinde ich mich derzeit nicht in einem Kontext, der mich zu einer ähnlichen Handlung zwingt. Aber wenn ich eines Tages meinen Krieger aktivieren muss, um aufzustehen und zu kämpfen, dann werde ich das bestimmt tun. (Pause) Die wichtigste politische Botschaft dieses Camps der Friedenstänze ist die angemessene Antwort auf eine Situation. Und diese Antwort erscheint dann, wenn man auf die Realität nicht aus der Aufregung heraus reagiert, sondern aus der Weisheit, aus dem Zentrum des eigenen Seins. Dann weiss man automatisch, ob es an der Zeit ist, den Bleistift, den Kugelschreiber oder das Schwert in die Hand zu nehmen – oder die Schaufel, um etwas aufzubauen.

 

Um auf den Vergleich der Menschheit als einzelne Person zurückzukommen: Kann man also sagen, dass es in der Geschichte Akteure gibt, die sich opfern müssen, um die Erde zu verteidigen, damit die nächsten Generationen das Erwachsensein der Menschheit entwickeln können?

Ich glaube schon. Schauen Sie sich an, was im Körper passiert, immerhin sprechen wir über die Analyse komplexer Systeme; der Körper ist am Ende stets ein guter Bezugspunkt. Im Körper gibt es einzelne Zellen, die sich für das Ganze opfern. Sie werden als Leukozyten bezeichnet, besser bekannt als weisse Blutkörperchen. Sie kämpfen ihre Schlachten und sterben. Und wenn der Kampf hart ist, verwandeln sie sich in Eiter. Das sind die Leichen der Leukozyten, die ihr Leben gegeben haben, um eine Invasion aufzuhalten. Die Natur zeigt uns also, dass es in der Tat zum Leben gehört, dass manche aufgeben müssen, dass manche sich opfern müssen.

*In diesem Falle werden unter Medizin unter anderem Präparate wie San Pedro oder Ayahuasca verstanden, die bei den Indigenen seit Jahrhunderten als heilig gelten, und zu Bewusstseinserweiterungen führen können.

 

Text: Romano Paganini

Korrektur: Katharina Hohenstein

Fotos: Caro Os

Peru, Ecuador, Deutschland und Spanien: Im Camp dern Friedenstänze treffen sich Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt und versuchen, den kollektiven Geist wiederzufinden, den viele in ihrem Alltag verloren haben.