Mitteilung vom 24. März 2022
Gute Vibrationen: letztlich ernten wir, was wir säen
Liebe Lesende
Als ich am Sonntagmorgen von der Nachtbusreise Guayquil-Quito kommend ein paar Einkäufe im Quartierladen machte, meinte der Lokalbesitzer beim Einkassieren: „Du bist heute der erste Kunde, und dieser erste Kunde ist wichtig für den restlichen Tagesverkauf.“ Ich blickte den Mann überrascht an und fragte warum. „Weil die Vibration entscheidend ist, ob andere Leute an diesem Tag vorbeikommen: je besser die Vibration des ersten Käufers, umso besser das Geschäft.“
Ich weiss nicht, wie sein Sonntagsverkauf verlief und auch weiss ich nicht, ob ich in Bezug auf „gute Vibration“ eine glaubwürdige Referenz bin. Dennoch stiessen seine Worte bei mir auf fruchtbaren Boden. Nicht weil ich zur „New-Age-Hippster-Bewegung“ desertiert wäre, sondern weil mir im Laufe der vergangenen Jahre klargeworden ist, dass wir ernten was wir säen – und zwar nicht nur in materieller Hinsicht. Ich kann einen noch so überzeugenden Anti-Kriegs-Diskurs halten, doch solange ich meine innere Haltung gegenüber jenen Menschen, die mir feindlich gesinnt sind, nicht ändere, verpufft dieser in den Unendlichkeiten des Universums.
„Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ Mahatma Gandhis (1869-1948) Diskurs mag romantisch klingen; isoliert betrachtet – etwa wenn man sich wegen eines Kriegs auf der Flucht befindet – erscheint er gar zynisch. Doch was würde geschehen, wenn sich viele Menschen zusammentun, und die Prinzipien des gewaltfreien Widerstandes lebten? Wie sähe das Leben auf Erden aus, wenn unsere Körper, unser Geist und unsere Seele mehr oder weniger in Einklang ständen und wir Wert auf die Kultivierung dieses Zustandes legten?
Bei näher rückenden Konflikten oder gar Kriegen dürfen wir ruhig auch die folgenden Fragen wieder ins Zentrum rücken: Wäre es nicht angemessen, mit persönlichen Konflikten anders zu verfahren als bisher? Warum nicht auch lokal die Waffen niederlegen, etwa die verbalen Attacken gegenüber meinen Nachbarn oder gar meiner Familie? Warum nicht die Hand all jenen entgegenstrecken, mit denen ich schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten im Streit stehe?
Nach zwei Jahren Covid-19-Pandemie läuft dieser Krieg inzwischen auf Sparflamme, schliesslich sind die Scheinwerfer auf die Ukraine gerichtet. Längst ausgeblendet sind dagegen andere bewaffnete Konflikte, rund um den Globus. Palästina, Israel, Yemen, Sudan, Nigeria, Syrien, Irak, Afghanistan oder Myanmar sind nur ein paar Beispiele, die längst in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht sind, und in den Medien – wenn überhaupt – nur noch am Rande erwähnt werden.
Diesbezüglich liessen sich auch sämtliche lateinamerikanischen Staaten auflisten. Sie werden im deutschsprachigen Raum von den Medien trotz enormen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verflechtungen mit dem globalen Norden seit langem stiefmütterlich behandelt.
Wir von der Digitalzeitschrift mutantia.ch werden daran nichts ändern. Aber wir können das machen, was der Quartierladen-Verkäufer am Sonntagmorgen mit mir gemacht hat: Wir können säen und darauf hoffen, dass unsere Saat irgendwann auf fruchtbaren Boden stösst. Mit unserem siebenköpfigen Team hier in Quito sind wir seit vergangener Woche jedenfalls zu den wöchentlichen Publikationen zurückgekehrt, Post-Pandemic-Planet inklusive (auf Spanisch). Abgesehen davon befinden wir uns mitten in einem Redefinitionsprozess, also: Was ist mutantia.ch? Was macht mutantia.ch? Wo legen wir unseren Fokus? Gestern war das erste Live-Treffen seit November 2020 … (siehe Foto).

Hamilton López (Fotograf), María Caridad Villacís (Design), Vivi Jaramillo (Community Managerin), Martu Lasso (Korrektur), Mayra Caiza (Journalistin) und Romano Paganini (Koordinator) beim gestrigen Treffen in Quito. Es fehlt Fotografin Daniela Beltran. – FOTO: Gabriela Paredes
Um zu erfahren, was unsere spanisch sprechenden LeserInnen interessiert, haben wir im Februar eine kleine Umfrage gestartet; über sechzig Personen haben daran teilgenommen. Wir wollten wissen, was sie bewegt und was sie sich von mutantia.ch wünschen. Das Resultat: mehr lösungsorientierten Journalismus, mehr Berichte über konstruktive Initiativen von Personen oder Gruppen aus der Zivilgesellschaft sowie Artikel, Fotos und Videos, die das anzestrale Wissen indigener Völker wiedergeben. Die befragten Personen sind müde von den „Bad News“ und wünschen sich Erbauliches, um selbst (wieder) Mut schöpfen zu können. Wie wohl die Umfrage bei unserer deutschsprachigen Leserschaft ausgefallen wäre?
Intern kamen wir vor ein paar Wochen bei einem Zoom-Gespräch zwischen der Schweiz, Italien, Argentinien und Ecuador jedenfalls zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Nur Schwarzmalen bringt uns nicht weiter – weder als JournalistInnen noch als Gesellschaft. Deshalb brüten wir derzeit an der Idee konstruktiven Journalismus aus Lateinamerika – also Reportagen, Analysen, Videos, Podcasts – aus dem Spanischen ins Deutsche zu übersetzen, und auf mutantia.ch aufzuschalten, quasi als Sprachrohr zwischen Süd und Nord.
Dazu werden wir freilich weitere MitarbeiterInnen brauchen (gerne auch im Verbund mit anderen Medien). Unser Team wuchs durch den Post-Pandemic-Planet (PPP) zwar vorübergehend auf sechs Personen an, aber generell sind wir zwei bis drei Nasen, die den Laden schmeissen. Deshalb der Aufruf an alle konstruktiv-kritischen deutschsprachigen Community Manager, JournalistInnen und FotografInnen, aber auch an ProjektmanagerInnen, AdministratorInnen und FinanzexpertInnen: Schreibt uns ohne Umschweife per WhatsApp (++593-995-981-871) oder Mail (redaktion.mutantia@gmail.com). Auch suchen wir ÜbersetzerInnen ins Deutsche, vorwiegend aus dem Spanischen, gerne aber auch aus dem Französischen, Portugiesischen und Englischen.
Vorerst publizieren wir heute lediglich den Abschiedsbrief des Journalisten Claudio Zemp, der im vergangenen Jahr wesentlich zum PPP beigetragen hat, mutantia.ch bis auf Weiteres aber „nur“ noch mit Rat und Tat zur Seite stehen wird. Danke Claudio für die Ideen, Schriftstücke und Offenheit der vergangenen 365 Tage.
Euch, lieben Leserinnen und Lesern, wünschen wir einen guten Frühlingsbeginn. Auf dass wir die subtilen Frequenzen unseres Daseins nicht ausser Acht lassen!
Romano Paganini
Koordinator, mutantia.ch