Mürbe gemacht, mitten im Königreich

Ein Journalist sitzt seit Monaten in einem britischen Gefängnis, wo er laut UNO-Berichten gefoltert wird – und dies, obwohl er lediglich seiner Arbeit nachgegangen ist. Der Fall Julian Assange zeigt, wie schnell sich rechtsstaatliche Prinzipien in Luft auflösen und die Öffentlichkeit kaum dagegen aufbegehrt.

21. Dezember 2019, Quito. – Um Angaben zu Julian Assange zu bekommen, spielt die Nähe zum Gefängnis in Belmarsh, wo der 48-jährige Journalist seit Monaten eingesperrt sein soll, nur bedingt eine Rolle. Aus der Ferne – beispielsweise von Deutschland oder Ecuador aus – erhält man sowieso kaum Informationen, doch auch aus der Nähe – zum Beispiel aus dem Gerichtssaal Westminster Magistrates’ Court in London, wo sein Fall behandelt wird – ist die Informationssperre zum politischen Gefangenen aus Australien praktisch unüberwindbar. Das berichten BeobachterInnen vor Ort, die den Prozess seit Monaten begleiten. Julian Assange hätte gemäss Richtlinien der EU das Recht darauf, bei sämtlichen Verhandlungen physisch anwesend zu sein. Doch seit Prozessbeginn war dies erst einmal der Fall: am 21. Oktober 2019.

In der Regel erscheint er nur über einen Bildschirm, der ihn abgemagert und teilnahmslos in einem Raum sitzend zeigt. „Es wird alles unternommen, damit er keinen direkten Kontakt mit anderen Menschen hat“, sagt Monika Karbowska vom Verein Wikijustice. Die Menschenrechtsaktivistin hat zusammen mit dutzenden anderen Personen aus ganz Europa Briefe an Assange geschrieben, geantwortet habe er selten. „Wir wissen gar nicht, ob er die Briefe erhalten hat.“ Ein kleines Lebenszeichen soll es zuletzt im September gegeben haben, als er – gemäss Karbowska – einer Bekannten von Wikijustice geschrieben haben soll: Danke, dass du für mich kämpfst. Ich befinde mich derzeit an einem sehr dunklen Ort. Beleuchte die Nacht, bis zum Sieg.

 

Grossbritannien, ein Rechtsstaat? 

Monika Karbowska, die vor Jahren aus Polen nach Frankreich emigrierte, sitzt seit Monaten an praktisch jeder Verhandlung in London im Publikum. Nach dem vorletzten Verhandlungstag Mitte Dezember schilderte sie ihre Eindrücke per Mail: „Er war bewegungslos, schaute nur auf den Boden und sprach weder mit der Anwältin noch mit der Richterin. Er war nicht einmal im Stande, seinen Namen und sein Geburtsdatum zu sagen. Er schien wie unter Medikamenten, war schwach, müde und erschöpft.“ 

Zu einem ähnlichen Schluss kam Nils Melzer bereits bei seinem Besuch im Mai, also nur einen Monat, nachdem Julian Assange aus der ecuadorianischen Botschaft getragen wurde. In seinem besorgniserregenden Bericht hielt der UNO-Sonderbeauftragte über Folter fest: „Assange weist sämtliche Symptome auf, die typisch für eine längere Belastung psychologischer Folter sind, einschliesslich extremen Stresses, chronischer Angstzustände sowie intensiver psychischer Traumata.“ Im November setzte Melzer nach und warnte, dass sich Assange in Lebensgefahr befinde; zu diesem Schluss kamen auch sechzig MedizinerInnen aus der ganzen Welt, die ihre Sorge über seinen Gesundheitszustand kürzlich in einem offenen Brief an die britische Innenministerin ausdrückten.

Sein Fall wird im Westminster Magistrates’ Court in London im selben Raum verhandelt, wie die Ausschaffung von Straftätern aus anderen Staaten, vorwiegend aus Osteuropa: Julian Paul Assange, ganz oben auf der Liste.  BILD: M.K.

Doch von Seiten der britischen Regierung – immerhin Teil eines Rechtsstaates mitten in Europa – kam keine Antwort. Auf den UNO-Bericht vom Mai hiess es lediglich, dass man die Empfehlungen nicht berücksichtigen und keine zusätzliche Informationen zu Assange und seinen Haftbedingungen bereitstellen werde. „Trotz der medizinischen Dringlichkeit meiner Beschwerde“, schreibt Melzer, „und der Schwere der angeblichen Verstösse hat das Vereinigte Königreich keine völkerrechtlich vorgeschriebenen Untersuchungs- und Präventionsmassnahmen oder Rechtsbehelfe ergriffen.“ Die britische Regierung verstosse damit gegen die UNO-Konventionen gegen Folter. Denn eigentlich müsste sie bereits bei Verdacht auf Folter unverzüglich und unabhängig ermitteln.

 

Julian Paul Assange: not available

Es ist nur eine von vielen Unrechtsmässigkeiten rund um den Gründer von Wikileaks. Zur Erinnerung: Der Australier wird seit Jahren politisch verfolgt, weil er seiner Arbeit als Journalist nachgegangen ist und diverse von der US-Armee begangene Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt hatte. Er gab 2010 jenen Videos eine Plattform, die einen Luftangriff auf Zivilisten und Reuters-Reporter im Irak zeigten, wobei über zwanzig Personen ums Leben gekommen waren. Die USA dagegen werfen ihm Spionage vor, auch weil er gemäss Anklageschrift Whistleblowerin Chelsea Manning beim Hacken sensibler Daten geholfen haben soll. Deswegen drohen ihm bei einer Auslieferung in die Vereinigten Staaten 175 Jahre Haft. Wikijustice will genau das verhindern – und appelliert an den Rechtsstaat. „Bei Julian handelt es sich um einen politischen Gefangenen, da kann der Zugang zur Aussenwelt nicht einfach so abgeschnitten werden“, sagt Karbowska über Skype. „Allerdings weiss niemand genau, was mit Julian wirklich passiert.“ Weder würden seine Anwälte, noch die Verantwortlichen von Wikileaks antworten. Alle Versuche, ihn im Gefängnis zu besuchen, sind fehlgeschlagen. Wer den Namen Julian Paul Assange auf der Homepage von Belmarsh eingäbe, erhalte lediglich die Rückmeldung: Not available.

Laut Craig Murray, ehemaliger britischer Botschafter in Uzbekistan und Beobachter des Gerichtsprozesses, soll Assange 23 Stunden am Tag in Isolationshaft gehalten werden, ehe man ihn für 45 Minuten rauslasse. Der frühere Diplomat ist entsetzt über die Haftbedingungen und schrieb nach der Verhandlung vom 21. Oktober auf seinem Blog, dass er seit Jahren gegen die zunehmend autoritäre Gangart des Staates protestiere und dieser offenkundig Missbrauch betreibe. „Die Verteufelung und Entmenschlichung Julians, basierend auf Lügen von Regierung und Medien, hat zu einer Situation geführt, wo er langsam und vor den Augen der Öffentlichkeit getötet werden kann.“ Die „liberale“ Gesellschaft schaue tatenlos zu.

Unermüdliche Kämpferin: Monika Karbowska (links) vom Verein Wikijustice, Ende November 2019 bei einer Demonstration in Berlin.  BILD: wikijustice

Anteil an dieser Situation haben auch jene Frauen und Männer, die Assange eigentlich verteidigen sollten: seine AnwältInnen. Und dies kommt nicht von ungefähr. Laut der Recherechen von US-Journalistin Lucy Komisar, befinden sich gleich mehrere seiner VerteidigerInnen in einem Interessenskonflikt. Im Zentrum steht die Anwaltskanzlei Matrix Chambers aus London, und dort insbesondere Mark Summers. Der Spezialist in Auslieferungsfragen arbeitet nämlich sowohl für Julian Assange als auch für die US-Justiz. Während er die Auslieferung des politisch Gefangenen in die USA verhindern soll, arbeitet er gleichzeitig daran, die Auslieferung von Credit Suisse-Bankern in die USA voranzutreiben. Dazu kommt Alex Bailin, ebenfalls Mitglied von Matrix Chambers, der erst im Oktober einen Meinungsartikel in The Times veröffentlicht hat – und zwar zusammen mit Ben Brandon, der als juristischer Vertreter der USA daran arbeitet, Assange ausliefern zu lassen. Zwei, die hier nahe zusammengefunden haben, während sie im Fall Assange eigentlich auf der gegenüberliegenden Seite stehen. Eine Nähe, die Fragen aufwirft – Fragen, die wir gerne mit Mark Summers besprochen hätten. Doch er hat auf unsere schriftliche Anfrage nicht reagiert. 

 

„Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn die strafbare Handlung, derentwegen sie begehrt wird, vom ersuchten Staat als eine politische oder als eine mit einer solchen zusammenhängende strafbare Handlung angesehen wird.“

Artikel 3 des europäischen Auslieferungsübereinkommen

 


„Wir haben versucht herauszufinden, ob sich Julian bewusst ist, von wem er da eigentlich vertreten wird“, sagt Monika Karbowska von Wikijustice – ohne Erfolg. Sie verweist auf die Schar junger und motivierter AnwältInnen, viele von ihnen nicht in England geboren, die ihre Fälle im selben Gerichstssaal verhandeln, wie die AnwältInnen Assanges. Dabei geht es oft um StaatsbürgerInnen aus Osteuropa, die auf Grund von Diebstahl, Betrug oder Raub in ihre jeweiligen Länder ausgeschafft werden sollen. Das sei ein ganz anderes Verhandlungsklima und die VerteidigerInn würden wesentlich aktiver auftreten als die VerteidigerInnen Assanges, sagt Karbowska.

 

Whistleblower rechnet mit Auslieferung Assanges

Einer dieser Anwälte ist Alexander Goscimski aus Polen, der sich in London seit Jahren mit Auslieferungsverfahren beschäftigt. Angesprochen auf die Interessenskonflikte von Assanges Verteidigern schreibt er per Mail: „Es ist sehr häufig, dass Anwälte aus derselben Kanzlei gegeneinander antreten, tags darauf aber in einem anderen Fall wieder zusammenarbeiten. Ich verstehe, dass dies für Aussenstehende unangemessen erscheinen mag, aber meiner Erfahrung nach ist dies in Grossbritannien eine übliche Praxis.“ Goscimski war mehrmals wegen anderer Anhörungen im Gerichtssaal, als Assanges Fall behandelt wurde; seine Anwälte, schreibt er, gehörten zu den Besten ihres Faches. „Allerdings ist es enorm schwierig, gegen ein Auslieferungsgesuch der USA anzutreten“. Den meisten davon würde ohnehin stattgegeben.

Diese Befürchtung steht auch im Falle Assanges im Raum. John Kiriakou etwa, der 2007 die Foltermethoden des CIA publik gemacht hatte und deshalb zwei Jahre im Gefängnis sass, sagte kürzlich in einem Interview mit dem US-amerikanischen Radiosender ABC, dass er fest damit rechne, dass Assange ausgeliefert werde. Kiriakou stützte sich dabei auf Gespräche mit den Anwälten von Matrix Chambers. Gemäss Auslieferungsspezialist Alexander Goscimski gäbe es rechtlich lediglich drei Möglichkeiten, dies zu verhindern: ein Widerruf des Haftbefehls der USA, die Entlastung durch einen britischen Richter oder ein erfolgreicher Kautionsantrag. Wikijustice dagegen sagt, dass man auf Grund der rechtlichen Situation durchaus auch Antrag auf Entlassung stellen könnte. Der Verein hat deshalb am Samstag eine entsprechende Anfrage ans Anwaltsteam von Assange geschickt. 

 

Verstoss gegen Auslieferungsübereinkommen
Der Europarat, bei dem auch Grossbritannien Mitglied ist, hatte 1957 das europäische Auslieferungsübereinkommen beschlossen, in dem es unter anderem heisst: „Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn die strafbare Handlung, derentwegen sie begehrt wird, vom ersuchten Staat als eine politische oder als eine mit einer solchen zusammenhängende strafbare Handlung angesehen wird.“

Ob dieser Passus im Falle Assanges zur Anwendung kommt, ist höchst fraglich. Eher scheint es im Moment so, dass der Journalist, Programmierer, Gründer und Sprecher von Wikileaks, hinter den Mauern des Belmarsh-Gefängnisses sterben wird – mürbe gemacht mitten im Königreich. 



Text: Romano Paganini

Hauptbild: Seit einem Jahrzehnt zwischen Freiheit, Flucht, Asyl und Gefängnis: Der australische Journalist Julian Assange, hier während einer Veranstaltung der Occupy-Bewegung 2012. (wikijustice)