Ohne Bewohner verschwinden die Co2-Speicher am Äquator 


Crevettenzucht, Drogenkartelle und Industriefischerei aus China: Die Bedrohung für die Mangrovenwälder in Ecuador ist vielschichtig und international. Der Bericht des österreichischen Anthropologen Johannes M. Waldmüller* zeigt, warum die lokale Bevölkerung unerlässlich ist, um einen der wichtigsten Co2-Speicher zu schützen.  

6. September 2021, Esmeraldas, Ecuador. – Über fünf Jahre liegt das Ereignis zurück, doch die Auswirkungen sind bis heute spürbar. Denn als am Abend des 16. April 2016 an Ecuadors Küste die Erde bebte, blieb kein Stein auf dem anderen. Das zweitstärkste je gemessene Beben im Land (7.8 auf der Richterskala) sorgte für über 650 Todesopfer, über 20.000 Personen wurden in wenigen Sekunden obdachlos.

Knapp zwei Jahre später waren in den Küstenprovinzen von Manabí und Esmeraldas noch immer Tausende in Armeelagern untergebracht, inklusive eines entsprechenden Regimes: Arbeitsverbot, Ausgangssperre ab 19 Uhr sowie ein Verbot von Fotos, Film und Internet, um die Kommunikation zwischen den einzelnen Lagern zu unterbinden. Ausserdem fanden während dieser Zeit zahlreiche Misshandlungen und sexuelle Übergriffe statt; die Mädchen und Frauen erhielten im Gegenzug Lebensmittel und Medizin …

Ab 2019 folgte in der Region dann eine langsame Erholung – obwohl tausende Familien gezwungen wurden, ihre Grundstücke dem Staat zu überschreiben, um anderswo an Ersatzhäuser zu gelangen. Dies geschah insbesondere in der überwiegend von AfroecuadorianerInnen bewohnten Provinz Esmeraldas an der Grenze zu Kolumbien, eine der historisch ärmsten Regionen Ecuadors. Hier manifestierten sich die geschäftlichen Interessen des Staates, der im Verbund mit Privaten, die „freigewordenen“ Ländereien nutzen wollte. Mit anderen Worten: Aus einer sogenannte „Naturkatastrophe“ wurde eine anhaltende soziale, politische und wirtschaftliche Katastrophe – wie so oft in Lateinamerika.

Dann kam Covid-19, und liess auch noch den Tourismus einbrechen. Eine der Folgen: Die lokale Jugend ist massiv von illegalen Schmuggelökonomien und mächtigen Drogenkartellen Kolumbiens und Mexiko bedroht. Sie erscheinen den Jungs als einzige Chance, um irgendwie aus der Krise zu kommen. Und seitdem die Region zwischen Esmeraldas und den tausend Kilometer entfernten Galapagos-Inseln von chinesischen Megaflotten leergefischt wird, ist selbst die lokale Selbstversorgung mittels Kleinfischerei gefährdet.

Schnitt.

Wälder, die vor Hochwasser schützen und Meerestieren Schutz für die Reproduktion bieten: Weitgehend intakte Mangrovenlandschaft mit Ästuaren rund um die Insel Bolívar, Ecuador. – FOTO: Johannes M. Waldmüller

Anfang August diesen Jahres präsentierte der Internationale Klimarat (IPCC) in Genf der Weltöffentlichkeit seinen sechsten Bericht zur Lage des Planeten. Die Aussichten sind düster. Für sämtliche Erdregionen werden menschengemachte Katastrophenszenarien und Wetterextreme prognostiziert. Einmal mehr konnte nachgewiesen werden, dass der beschleunigte Klimawandel ursächlich von Menschen – um präzise zu sein: vom globalisierten Produktions-, Handels- und Konsummodell – verursacht wurde.

Und dennoch ist es nicht zu spät. So ruft der IPPC dringend zur massiven Wiederaufforstung, zur Stärkung der Biodiversität und zum Erhalt gefährdeter Ökosysteme auf. Gemeint sind insbesondere jene, die den Klimawandel nachweislich verlangsamen, ja möglicherweise sogar umkehren können. Unter besagten Ökosystemen gibt es eines, das dazu besonders geeignet ist: die Mangroven. Sie gelten hinter dem begrenzt vorhandenen Torfboden als zweitbeste Co2-Speicher überhaupt. Die mitunter weitreichendsten Mangrovenwälder, mit den nachweislich höchsten Mangrovenbäumen der Welt, wachsen allerdings ausgerechnet an den schwer vom Erdbeben betroffenen Küsten Ecuadors.

 

Holz für Boote und Häuser

Schon vor Jahrhunderten hatten sich entkommene SklavInnen in der hiesigen Küstenregion versteckt und sich dort ein Fundament ökologischen Wissens zu den Mangroven angeeignet. Nachhaltigkeit und Wiederaufforstung war für lokale Fischergesellschaften schon lange ein grundlegendes Prinzip des Selbsterhalts – und zwar noch bevor es im Westen in den 1970ern als „neuartige“ Idee aufkam. Die Mangroven bieten fantastische Voraussetzungen dafür. Denn in ihrem dichten Geäst aus sauerstoffreichen Wurzeln bieten sie der Fauna nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Schutz für die Reproduktion. Für die lokalen FischerInnen bedeutet dies jedenfalls einen enormen Reichtum – vorausgesetzt Muscheln, Krebse und Fische werden nicht zu früh gefischt.

Gleichzeitig schützen Mangrovenwälder wie Schwämme vor Hochwasser, stabiliseren die Böden und helfen daher auch bei Erdbeben. Sie liefern Holz für Boote und Häuser und sind gleichzeitig Heimat für zahlreiche Insekten und Vogelarten. Diese wiederum sind für die Bestäubung von Pflanzen und Äckern am Land unerlässlich. So gesehen darf man die Mangroven unter den Klimawandel-Bremsern ruhig als Superstars bezeichnen. Als Schnittstelle zwischen Land und Ozean sind sie unersetzlich, genauso wie für die gesunde Reproduktion des Meeres.

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Unterstützung für die Mangrovenwälder Ecuadors und Madagaskars 

 

Beim Crowdfounding-Projekt „How do Black Women Fishing Communities in Ecuador and Madagascar Manage Mangrove Habitats and Mitigate Climate Change“, geht es in erster Linie um die Stärkung lokaler Gemeinschaften und damit den Schutz der Mangrovenwälder. Denn es sind die Menschen vor Ort, die dafür sorgen, dass die exzellenten Co2-Speicher erhalten werden. Dieses Projekt ist nebst Ecuador auch in Madagaskar aktiv, genauer in den Mangrovenwälder der Sakalava; es ist die einzige Ethnie des Inselstaates, die eindeutig schwarzafrikanischen Ursprungs ist. Und es ist kein Zufall, dass die Menschen in Madagaskar mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben wie jene in Lateinamerika: Überfischung durch vorwiegend chinesische Megaflotten, Crevettenzucht und Armut.

Das Projekt versucht die Brücke zwischen Wissenschaft und lokaler Hilfe zu schlagen. Einerseits geht es darum besseres Wissen über die Formen der lokalen, nachhaltigen Ökopolitik zu generieren, und die realen Ausmasse von Mangrovenwäldern und Shrimpsfarmen zu messen, beispielsweise mittels Drohnen und selbsterstellten Karten. Andererseits soll direkt geholfen werden, und zwar indem 15% der internationalen Spenden an lokale NGOs gehen, die sich für Umwelterziehung und Wiederaufforstung stark machen.

In einem weiteren Schritt soll später auf der Insel Bolívar in Ecuador ein internationales Forschungszentrum für Sozial- und Meereswissenschafter errichtet werden. Details dazu finden sich unter folgendem Link. (jowa) 

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Wo im 16. Jahrhundert jenes Sklavenschiff Schiffbruch erlitt, von dem die Geflohenen die schwarze Provinz Esmeraldas in Ecuador aufbauten und die ein Jahrhundert darauf zur grössten unabhängigen schwarzen “Zambo Republik” Lateinamerikas ausgerufen wurde: die Insel Portete. Nach dem schweren Erdbeben 2016 wurden grosse Teile der Insel unter dem Vorwand der Katastrophengefahr privatisiert, und wie dieser Traumstrand an internationale Hotelketten vergeben. FOTO: Johannes M. Waldmüller

Damit dieses Ökosystem funktioniert, braucht es die lokale Bevölkerung. Ohne sie und ihr jahrhundertaltes Wissen zur nachhaltigen Nutzung der Mangroven gibt es keinen effektiven Schutz. Und ohne die lokale Jugend und ihren Beitrag zum Umweltschutz, zur Wiederaufforstung und zur ökologischen Bildung, können die Mangroven nicht erhalten werden. Wer also zur Konservierung und zur Stärkung der lokalen Fischergesellschaften beiträgt, trägt direkt zur Bekämpfung des Klimawandels bei. Dringend ist die Sache auf jeden Fall. Denn bis 2011 ist ein Drittel aller weltweit vorhandenen Mangroven verloren gegangen. In diesem Jahr hat sich diese Zahl bereits ausgeweitet; inzwischen existiert nur noch die Hälfte des einstigen Mangrovenbestandes.

In Ecuador gibt es drei wichtige Faktoren, von denen die Mangroven heute bedroht werden: die Überfischung, der Klimawandel, sowie die Garnelenzucht. Immerhin ist das Land am Äquator eines der weltweit grössten Crevettenexporteure; der Export der Meerestiere zählt inzwischen hinter den Bananen gar zum zweitwichtigsten Wirtschaftszweig Ecuadors. Und der Zusammenhang mit dem Erdbeben von 2016 lässt sich nicht schönreden. Denn die bestehenden Crevettenzuchtbecken wurden damals vergrössert und Konzessionen inmitten von Mangrovenwälder – in vielen Fällen illegal – um weitere zwanzig Jahre verlängert. Auch die Schweiz importiert jede Menge ecuadorianische Crevetten, insbesondere seit dem Abschluss des Freihandelsabkommens, das seit 2017 in Kraft ist. Zwei der Hauptabnehmer im Alpenstaat: Migros und Coop.

*Johannes M. Waldmüller, PhD Entwicklungsanthropologie des Genfer Hochschulinstituts für Internationale Studien, langjähriger Professor an den Universitäten UDLA, FLACSO und EPN Ecuador. Derzeit Gastprofessor an der Universität Wien. Mehr Info: www.johanneswaldmuller.net

 

Korrektur: Romano Paganini

Hauptbild: Der Autor mit der Gastfamilie Reversides (zweite von vorne), die in der aktuellen Kampagne eine zentrale Rolle spielt, und als Muschelsucherin seit Jahrzehnten gegen Crevettenfarmen kämpft, um ihre lebenswichtigen Mangrovenwälder zu erhalten. Die Aufnahme vom Frühjahr 2021 stammt von ihrem Wohnort auf der Insel Bolívar in der Provinz Esmeraldas, Ecuador (Karina Vivanco).