Schnitt!

Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen dauern oft Generationen. Das dürfte mit dem Patriarchat nicht anders sein. Die Frauen äussern sich seit Jahren dazu. Und die Männer? Eine kleine Umfrage bei fünf Männern aus fünf Nationen. 

Seit Monaten wird über Feminismus und die patriarchalen Strukturen unseres Zusammenlebens geschrieben, diskutiert und gestritten. Mit Männern, Frauen und anderen Geschlechtern. In Zeitungen, Foren und an öffentlichen Veranstaltungen. Auch mutantia.ch hat kürzlich zum Thema berichtet. Nun ziehen wir nach und lassen Männer aus der Schweiz, Deutschland, Spanien, Argentinien und von der indigenen Nation Shuar (Ecuador) zu Wort kommen. Nehmen diese die patriarchalen Strukturen in unserem Alltag ebenfalls wahr? Leiden sie gar darunter? Und was müsste sich ändern, damit mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern hergestellt werden kann? Fragen an fünf Männer von zwei Kontinenten – hier ein paar Ausschnitte. 

* * *

 

“Dieser Prozess dürfte für viele Männer schmerzhaft sein”

(…) Vergangene Woche war ich beim Tanzunterricht und da ist mir aufgefallen, dass es für den Tanzlehrer ganz selbstverständlich war, dass die Frau vom Mann geführt wird. Klar, das funktioniert nicht bei homosexuellen Paaren, aber das Beispiel zeigt: Gewisse Erwartungen innerhalb der Geschlechterbeziehungen sind aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Oder wenn die Männer in der Stadt ein Sonnenbad nehmen und dazu ihr T-Shirt ausziehen: Das wird toleriert. Wenn das eine Frau machen würde, gäbe es sofort einen Skandal. (…)

(…) Dieser Prozess des Wandels dürfte für viele Männer schwierig und schmerzhaft sein. Immerhin lieferte uns eine patriarchalische Gesellschaft jahrhunderlang feste Strukturen und zeigte uns, wo es lang geht. Deshalb scheint mir wichtig, dass wir diese Wandlung gemeinsam durchgehen, ohne die Wahrnehmung des anderen zu ignorieren. Dadurch stärken wir auch unser Empathie-Verständnis. Das sollten wir als Männer sowieso tun. (…)

Max Feichtner (28), schreibt derzeit seine Doktorarbeit. Der Sozialwissenschaftler ist in einer Beziehung und lebt in München, Deutschland.

* * *

 

„Die Frauen sollen sagen, was sie denken und fühlen“

(…) Es braucht die Initiative der Frauen selbst. Heute nehmen sie zwar an unseren Versammlungen teil, bleiben jedoch meistens passiv. Wir müssen ihnen helfen, sich ausdrücken zu lernen – nicht nur wenn sie unter Frauen sind, sondern auch in Gegenwart von Männern. Sie sollen sagen, was sie denken und fühlen. Dann können wir auf ihre Anliegen eingehen. (…)

(…) Auf nationalstaatlicher Ebene haben wir zwar Frauen, die im  Parlament sitzen. Doch diese treten nicht für die Frauenrechte ein. Überhaupt können sich Frauen diesbezüglich nicht auf gegenseitige Unterstützung verlassen. Umgekehrt sind längst nicht alle Männer gegen die Anliegen der Frauen. Sollten wir es schaffen, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen, brächte das nicht nur Vorteile für die Familie und die comunidad, sondern für die Bevölkerung des ganzen Landes. (…)

Ampam Karakras Ipiak (69), Treuhänder und Schriftsteller. Er ist Single und lebt mit seinen erwachsenen Söhnen zwischen Quito und seiner Shuar-Gemeinde Aratsim im ecuadorianischen Amazonas-Becken.

* * *

 

„Mich wird niemand belästigen oder vergewaltigen“ 

(…) Der Machismo ist allgegenwärtig. Ich sehe ihn an meinem Arbeitsplatz, Zuhause oder an meinen eigenen Reaktionen. Die patriarchalen Strukturen haben sich eingenistet und ich bin ein Teil davon. Als Mann muss ich mir zum Beispiel keine Sorgen machen, alleine auf die Strasse zu gehen. Niemand wird mich belästigen oder vergewaltigen. (…)

(…) Bereits als Kind habe ich davon profitiert, dass ich als Bub geboren wurde. Es waren zum Beispiel die Frauen, die nach dem Essen jeweils den Tisch abräumten. Das ist teilweise auch heute noch so. Ich sitze dann auf meinem Stuhl, sehe was passiert, reagiere aber nur selten. Ab und zu versuche ich schon in der Küche zu helfen, etwa wenn ich bei meinen Eltern zu Besuch bin. Da stelle ich mich dann an den Grill oder vor den Ofen. Aber da meine Mutter weiss, wie ungeschickt ich bin, verzichtet sie lieber auf meine Hilfe. (…)

Diego Verdi (47), Hausmeister und Vater von zwei Kindern. Er ist Single und lebt in Mar del Plata, Argentinien.

* * * 

 “Es kann nicht sein, dass ein steifer Penis bereits als etwas Patriarchales gesehen wird“

(…) Ich stelle fest, dass Männer nicht genau wissen, wie sie ihre neue Rolle in der sich rasant wandelnden Gesellschaft wahrnehmen sollen. Sie realisieren zwar, dass machoides Verhalten nicht mehr so angebracht ist, zeigen sich jedoch ziemlich verunsichert, etwa im Umgang mit anderen Männern. Darf ich einen Mann nun umarmen oder in Gegenwart von ihm sogar weinen? Wenn sie den Rahmen der Kumpel-Beziehung verlassen, wissen sie nicht, wie sie sich verhalten sollen. (…)

(…) Ich sehe drei wichtige Punkte, um die Ist-Situation zu verändern: Erstens, Männer sollten in der unbezahlten Arbeit – also väterliche Präsenz, Pflege von Angehörigen, Haushalt – mehr Verantwortung übernehmen. Zweitens, unsere Sexualität gehört entabusiert. Sie ist für viele Menschen, sowohl Frauen als auch Männer, nach wie vor ein schmerzvolles Thema. Wir sollten sorgsam mit der Sexualität umgehen und in deren Bildung investieren. Es kann nicht sein, dass ein steifer Penis bereits als etwas Patriarchales gesehen wird. Und drittens brauchen wir männliche Vorbilder. Die Buben sollen sich nicht an Ronaldo orientieren, sondern an ihren Vätern, Grossvätern oder Lehrern. (…)

Markus Gygli (51), Organisationsentwickler und Präsident von maenner.ch, lebt mit seiner Partnerin und der gemeinsamen Tochter in Bern, Schweiz.

* * *

„…dann sind wir wie Kinder vor dem Zauberer“

(…) Die meisten Menschen, mit denen ich mich zum Thema unterhalten habe, tendieren dazu, das eigene Geschlecht zu des-identifizieren. Dadurch versuchen sie Konflikte zu vermeiden. Es ist einfach, einen Sündenbock zu suchen – in der aktuellen Geschichte der Menschheit wird es Patriarchat genannt –, mit dem Schwert der Wahrheit darauf einzuschlagen und im Gegenzug den „Feminazismus“ gutzuheissen. (…)

(…) Wie bei allen Themen, die die Menschheit betrifft, sollten wir uns fragen, und zwar noch bevor wir die Schuld beim Patriarchat, dem libertären Feminismus, der Monarchie, den Gewerkschaften, den Banken oder Kirchen suchen: Wem nutzt es, dass ich mich auf einen Schuldigen konzentriere? Wenn wir uns dieser Übung nicht unterziehen, verhalten wir uns wie Kinder vor einem Zauberer, der uns mit seinen Tricks begeistert und wir glauben, er betreibe Magie. Die Menschheit leidet an chronischem Narzissmus. Solange wir dies nicht als Krankheit identifizieren, die uns alle betrifft, werden wir am Ende nach Schuldigen suchen und dadurch – wie zu anderen Zeiten der Menschheitsgeschichte – unsere Brüder und Schwestern bekämpfen. (…) 

Rubén (36), Grafikdesigner und Permakultor. Er lebt mit seiner Freundin ausserhalb von Alicante, Spanien.

* * *

Zeichnung: Manuel Antonio Dominguez