An der Linie
In der mexikanischen Grenzstadt Tijuana warten hunderte von MigrantInnen auf Einlass
in die USA. In einer doppelten Folge zeigen wir, was ein Grenzzaun bewirkt und erzählen
die Geschichte von Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben.
15. Juli – Tijuana, Méxiko – Auf der einen Seite des Zaunes bauen Kinder Sandburgen, auf der anderen patrouillieren Männer in grün-weissen Autos. Auf der einen Seite schiessen Touristen Fotos, auf der anderen kommen sie noch nicht einmal bis zum Zaun. Denn zwischen der eigentlichen Grenze zu Mexiko und den USA haben die Nordamerikaner eine Art Demarkationslinie gezogen, quasi eine zweite Grenze. Sie ist ausgerüstet mit Bewegungsdetektoren, elektronischen Sensoren und dutzenden von Kameras. Die Ansage der USA ist unmissverständlich: Wenn ihr versucht, hier rüber zu kommen, schnappen wir euch.
Die Vereinigten Staaten setzen bei ihrer Migrationspolitik jedoch nicht nur auf Abschreckung, sondern auch auf ein altbewährtes Werkzeug imperialen Wirkens: dem des ökonomischen Drucks. Dieser besteht darin, dass Donald Trump der mexikanischen Regierung von Präsident Andrés Manuel López Obrador Anfang Juni drohte, mexikanische Produkte um fünf Prozent Zollgebühren zu erhöhen, sollte Mexiko seine Einwanderungspolitik nicht innert 45 Tagen verschärfen. López Obrador stand mit dem Rücken zur Wand. Immerhin machen die Exporte in die USA rund einen Viertel des mexikanischen Bruttoinlandproduktes aus. Und so schickten die Mexikaner während der vergangenen Wochen rund 15.000 Polizisten und Soldaten an die Grenzen – sowohl im Süden als auch im Norden des Landes. Ihr Auftrag: härter durchgreifen und die illegale Migration eindämmen.
Drogenschmuggel mit MigrantInnen
Auch in Tijuana ist die Guardia Nacional angekommen – Tijuana, eine der gefährlichsten Städte der Welt. Die Drogenmafia hat hier seit Jahren die Fäden in der Hand und bearbeitet ein weiteres lukratives Geschäftsfeld: den Menschenhandel. Aus der Not tausender Flüchtlinge, die an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze gestrandet sind – der grösste Teil stammt aus Lateinamerika und Afrika –, ist ein Business entstanden. Entweder zahlen Flüchtlinge horrende Beträge (mehrere tausend Dollar) an ihre Schlepper oder aber sie schmuggeln Pakete mit Kokain und anderen Drogen in die USA. Beide Varianten haben eines gemeinsam: sie sind äusserst gefährlich.
Wir waren Anfang Juli vor Ort und haben uns ein Bild von der Situation gemacht. Entstanden ist folgende Fotoreportage von „la linea“ – die Linie. So wird der Zaun genannt, der die USA von Mexiko trennt und der mehrere hundert Kilometer lang ist.
Bis weit in den Pazifik hinein: Mit dem Bau des Grenzzauns in Tijuana wurde 1994 während der Regierung unter Bill Clinton begonnen. Dadurch sollte die illegale Migration eingedämmt werden. Die Folgen: Mexikanische Gastarbeiter, unter anderem etliche aus der Landwirtschaft, liessen sich dauerthaft in den USA nieder, da die Überquerung der Grenze stetig komplizierter und gefährlicher wurde.
Sommerferien im Grenzgebiet: Nur wenige Meter von la linea entfernt werden Strandspielzeuge, Fleischspiesse und Churros verkauft. An diesem Sonntag gibt’s weiter hinten am Strand auch eine Bühnenshow, bei der Vater und Sohn Michael Jackson imitieren.
Eine deutliche Botschaft: Die US-Flagge steht auf dem Kopf und anstelle von Sternen wurden Grabkreuze gezeichnet. Jährlich kommen mehrere hundert MigrantInnen beim Versuch, in die USA einzureisen um’s Leben. Sie ertrinken im Fluss, verdursten in der Wüste oder werden durch Schüsse rivalisierender Banden getötet. Hinzu kommen die Todesfälle in Migrationsgefängnissen in den USA. Seit September sind alleine sechs Kinder gestorben.