Waldrodungen erhöhen das Risiko für Pandemien

Die Covid-19-Pandemie ist in China ausgebrochen, also tausende von Kilometern von Lateinamerika entfernt. Doch Biologen und Epidemiologen aus Ecuador warnen, dass ökologisches Ungleichgewicht auch hierzulande Ursache für zoonotische Krankheiten sein kann. Um solche zu verhindern, ist eine starke Regulierungspolitik unabdingbar – und zwar bei der Entwaldung für Rohstoff-Ausbeutung als auch beim Handel mit Wildtieren.

5. Mai 2020, Quito. – „Gesunde Ökosysteme und gesunde Wälder sind unser bester Schutz gegen Viren“. Das sagt Luis Suárez vom World Wildlife Fond (WWF). „Wenn wir ein Ökosystem, einen Dschungel oder einen Wald zerstören, verändern wir die komplexen Beziehungen, die zwischen den verschiedenen Tieren und Lebewesen bestehen, die diese Viren und Krankheitserreger im Gleichgewicht halten.“ In seinem Appell verweist der Koordinator von WWF Spanien auf die weltweit hohe Abholzungsrate, die die Ausbreitung von zoonotischen Krankheiten wie dem Covid-19 begünstigen.

Zoonotischen Krankheiten oder Zoonosen bedeutet die Übertragung von Viren, Bakterien, Protozoen, Helminthen (Würmern) und parasitären Pilzen zwischen Tieren und Menschen und umgekehrt. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind 70 Prozent aller neuen Krankheiten beim Menschen, die in den vergangenen vierzig Jahren aufgetreten sind, tierischen Ursprungs. Zum Beispiel das 2015 aufgetretene Middle East Respiratory Syndrome, besser bekannt unter seiner Abkürzung Mers, das ursprünglich bei Fledermäusen gefunden, dann auf Kamele übergesprungen war und schliesslich auf den Menschen übertragen wurde. Ähnliches geschah 2002/2003 mit dem Severe acute respiratory syndrome (Sars), dem Vorläufer von Sars-Cov-2. Das Virus gelangte damals von Fledermäusen zu Schleich- und anderen Katzen und landete schliesslich im menschlichen Organismus. 

Die Panamerikanische Gesundheitsorganisation hat inzwischen über 200 Krankheiten als Zoonosen identifiziert. Und obwohl die aktuelle Pandemie des neuartigen Coronavirus ihren Ursprung in mehr als 16.000 Kilometern Entfernung hat, weiss man in Ecuador um die Problematik. Denn im Andenstaat wird nicht nur mit Wildtieren gehandelt, Ecuador hat proportional gesehen auch die höchste Abholzungsrate in ganz Lateinamerika, und ist daher besonders anfällig für Zoonosen.

 

Der Einfluss der Rohstoff-Firmen

Nach Angaben der FAO verfügt Lateinamerika über 935,5 Millionen Hektar Wald, also fast die Hälfte der Gesamtfläche des Kontinents. Doch alleine im Jahr 2018 haben die Länder Brasilien, Kolumbien, Bolivien, Peru und Ecuador 1.884.662 Millionen Hektar Wald verloren. Hinzu kommen die 2,5 Millionen Hektar, die im vergangenen Jahr abgebrannt sind, insbesondere in Brasilien, Bolivien, Paraguay und Peru. Ecuador seinerseits hat gemäss nationalen Erhebungen im zweiten Halbjahr 2019 rund 16.000 Hektar pflanzenbedeckte Flächen durch Brände verloren. Insgesamt werden jährlich 60.000 Hektar Wald abgeholzt. Das entspricht 120.000 Fussballfeldern. Seit den 1990er Jahren ist die Gesamtfläche des Urwaldes von 14,5 Millionen Hektar auf 12,5 Millionen geschrumpft. 

Was bei der Abholzung an Biodiversität verloren geht, landet später als Gewinn auf den Konten der Rohstofffirmen. Ein Beispiel ist die Agrar-Industrie: Sie lässt auf dem gerodeten Land Monokulturen wie Soja, afrikanische Palmen und Eukalyptus anpflanzen oder schickt für die Milch- und Fleischproduktion Kühe zum Weiden. Allerdings ist es nicht so, dass die dadurch erwirtschafteten Erträge danach bei jenen Menschen landen, die vertrieben worden sind – nämlich Bauern und indigene Gemeinschaften. Der Gewinn geht an die Produzenten und Geschäftsleute, die vielfach aus Asien, Nordamerika oder Europa stammen. Dasselbe gilt für die Bergbau-, Erdöl- und Holzindustrie. Deren Finanziers fördern nicht nur den Rohstoff und verkaufen ihn ins Ausland, sie finanzieren in Abstimmung mit den jeweiligen Regierungen auch den Bau der notwendigen Infrastruktur – also Strassen, Brücken, Wasserkraftwerke, Häfen oder Flughäfen –, um den Export zu erleichtern.

Eines der lukrativsten Geschäfte nach dem Handel mit Drogen, Waffen und Menschen: der Handel mit Wildtieren wie dem grünen Guacamayo, eine der grössten Papagei-Arten weltweit. – BILD: animalesextincion.es

Diese industrielle Wertschöpfungskette, basierend auf der ungebremsten Ausbeutung von Rohstoffen, bedeutet zusätzliche Entwaldung und dadurch ein höheres Risiko in Bezug auf Zoonosen wie Covid-19. So haben Epidemiologen und Virologen des Evandro-Chagas-Instituts in Brasilien bereits im vergangenen Jahrhundert knapp 100 Viren ausgemacht, die in der Flora und Fauna des brasilianischen Regenwaldes und höchstwahrscheinlich auch im übrigen Amazonasgebiet vorkommen. Generell kommen diese nicht mit Menschen in Kontakt, sondern koexistieren mit den Organismen des Waldes, sprich: ihr Leben und Sterben findet dort statt. „Das Problem beginnt dann“, sagt Sandra Enriquez, „wenn der Mensch in dieses sich im Gleichgewicht befindende Ökosystem eindringt und damit beginnt, Bäume zu fällen. Denn damit dringt er auch in den Lebensraum dieser Krankheitserreger ein, die sich dann neue Wirte für ihr Fortbestehen suchen“.

Die Enthomologin arbeitet am Forschungsinstitut für Zoonosen an der Universidad Central in Quito und dokumentiert dort seit Jahren die Probleme der Leishmaniose. Leishmaniose ist eine zoonotische Krankheit, die nicht tödlich, aber in Ecuador durchaus von Bedeutung ist. Der Vektor, der für die Übertragung des Leishmania-Parasiten verantwortlich ist, ist eine kleine Mücke, hierzulande besser bekannt als manta blanca. Ihre Brüteorte sind die Höhlen von Wildtieren und die Wurzeln von Bäumen. Die manta blanca ernährt sich dort vom Saft einzelner Pflanzen sowie von reifen Früchten.

 

„Aufgrund der Zerstörung der Ökosysteme, in denen diese Viren leben,
und wegen des Handels mit Wildtieren und Pflanzen kann es
jederzeit zum Ausbruch irgendeiner Zoonose kommen.“

Juan Carlos Navarro, Epidemiologe

 

Wenn die Weibchen aber ihre Eier legen, sind sie auf das Blut von Säugetieren angewiesen. Dort finden sich die Proteine, um das Überleben ihres Nachwuchses zu garantieren. In diesen Momenten verlassen sie ihre Nester und suchen sich ein Faultier, einen Fuchs oder ein Stachelschwein, stechen es, und bringen das Blut zu ihrer Brut. Die Wildtiere dienen quasi als Reservoir für den Leishmania-Parasiten, die es dem Erreger erst ermöglichen, seinen biologischen Zyklus zwischen Säugetieren und der manta blanca entwickeln zu können. „Das sind natürliche Kreisläufe innerhalb eines Waldes“, erklärt Sandra Enriquez. „Und da diese Tiere mit Leishmania leben, entwickeln sie auch keine Krankheiten“.

 

Menschen werden zur Blutquelle

Im Falle der Leishmaniose, also die zoonotische Krankheit, beginnt das Problem durch menschliche Aktivitäten, etwa durch die Erweiterung der Agrarflächen. Die Angelegenheit ist relativ simpel: Damit sich die manta blanca weiter vermehren kann, braucht sie Blut. Und wenn sie es nicht von Wildtieren bekommt, die aufgrund der Abholzung den Wald verlassen haben oder ausgerottet wurden, sucht sie es bei Haustieren wie Hunden, Pferden und Ratten. „Da diese Tiere nicht im Wald leben, haben sie auch keine Abwehrkräfte entwickelt und könnten daher früher oder später Symptome von Leishmaniose aufweisen“, sagt Sandra Enriquez.

Dasselbe gilt für den Menschen, der eine weitere Blutquelle für die manta blanca darstellt. Wenn ein mit dem Parasiten infiziertes Weibchen eine Person beisst, dringt der Erreger ins Blut und an der Bissstelle – entweder irgendwo auf der Haut oder im Bereich Mund, Nasen oder Ohren – kann sich eine nur schwer heilende Wunde bilden. In Ecuador werden jährlich etwa 1.500 Fälle mit Leishmaniose gemeldet, wobei die Dunkelziffer enorm sein dürfte, wie Sandra Enriquez sagt. „Denn die Menschen, die im Risikogebiet leben, haben nur schlechten Zugang zu öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und ziehen es in der Regel vor, sich selbst zu heilen.“

 

Das Problem Monokultur

Das Gesundheitsministerium hat inzwischen festgestellt, dass Leishmaniose nach Dengue und Malaria die dritthäufigste vektorübertragene Krankheit ist. Die Zahl von Malaria-Erkrankten hat in Ecuador im vergangenen Jahr wieder zugenommen, wobei sich die 2.081 gemeldeten Fälle entlang der Küste konzentrierten. Und auch die Dengue-Infektionen sind, nachdem sie zuletzt rückgängig waren, wieder auf dem Vormarsch.

Die Hauptüberträger dieser beiden Krankheiten sind Stechmücken. Sie haben sich an ihren neuen Lebensraum gewöhnt, der an der Küste aus Monokulturen besteht: afrikanische Palmen, Eukalyptus und Zedern. Es wird geschätzt, dass diese Plantagen heute etwa 164.000 Hektar Land einnehmen – fast fünfmal so viel wie die Fläche Quitos. Mit anderen Worten, ein ausgewogenes Ökosystem wurde zerstört, um Monokulturen für kommerzielle Zwecke einzurichten. Die Konsequenzen: gestorbene oder vertriebene Wildtiere sowie Moskitos, die neue Blutquellen benötigen und weiterhin Viren oder Parasiten übertragen, die sonst eigentlich nur im Urwald leben. Diese Insekten, die in stehendem Wasser nahe von Dörfern oder Städten leben, ertragen heute sogar mehrere Monate Trockenheit und können ihr ganzes Leben im Umfeld von Menschen verbringen.

Seit den 1990er Jahren ist die Fläche an Urwald in Ecuador von 14,5 Millionen Hektar auf 12,5 Millionen Hektar zurückgegangen. – BILD: Pixabay (Symbolbild)

Bei der Entstehung von Krankheiten wie Covid-19 spielt die Zerstörung des Lebensraums von Viren, Bakterien, Parasiten oder Pilzen also eine entscheidende Rolle. Ein anderer wichtiger Punkt, der sowohl von WWF Spanien als auch vom Biologen und Epidemiologen Juan Carlos Navarro betont wird, sind die Wildtiermärkte wie im chinesischen Wuhan. „Die Leute romantisieren den Handel mit Wildtieren“, sagt Navarro, der an der Privatuniversität SEK in Quito unterrichtet und mit Sandra Enriquez von der Universidad Central zusammenarbeitet. „Viele dieser Tiere sind Träger genau jener Viren, die zoonotische Krankheiten verursachen können und durch einen Biss, Sekrete, Speichel oder Exkremente leicht übertragbar sind.“ Er sieht die Gefahr jedoch nicht nur für die KäuferInnen aus Übersee, die diese Tiere konsumieren, sie für medizinische Zwecke verwenden oder sie als Haustiere halten. „Auch die Händler selbst sind einer möglichen Ansteckung ausgesetzt und werden zu Überträgern.“

Ein Grossteil des Wildtierhandels in Ecuador – es geht vor allem um Vögel, Säugetiere und Reptilien – dient dem Fleischkonsum, sowohl lokal als auch international. Julia Campoverde, Biologin und Koordinatorin der Wildlife Conservation Society Ecuador zur Bekämpfung des Wildtierhandels, warnte kürzlich in einem Online-Seminar vor dem Verkauf dieses Fleisches. Obwohl es frisch und geräuchert sei, „die Konservierungs- und Transportbedingungen sind äusserst prekär. Das öffnet zoonotischen Krankheiten Tür und Tor, und macht sie für Menschen zu einer Zeitbombe“.

 

Wildtierhandel: jährlicher Umsatz von 10 Milliarden Dollar
Das Argument, dieses Geschäft aufrechtzuerhalten, obwohl es sowohl für die Menschen als auch für das Gleichgewicht der Ökosysteme gefährlich ist, ist dasselbe wie bei der Abholzung: Geld anhäufen. Experten sagen, dass der Handel mit Wildtieren nach dem Handel mit Drogen-, Waffen und Menschen als weltweit eines der grössten Geschäfte gilt. Dazu werden oft dieselben Netzwerke genutzt, die die organisierte Kriminalität aufgebaut hat. Gemäss Schätzungen werden durch den Wildtierhandel alleine in Lateinamerika jährlich über 10 Milliarden Dollar erwirtschaftet.

Aus diesem Grund hält der Epidemiologe Juan Carlos Navarro eine strenge Regulierung des Handels mit wilden Tieren und Pflanzen sowie für die Abholzung für unerlässlich. „Denn wenn nicht, dann laufen wir Gefahr, dass auch in Ecuador zoonotische Krankheiten ausbrechen, die sich später zu einer Epidemie entwickeln können.“ Er erwähnt den Ausbruch des Zika-Virus im Jahr 2014/2015, der sich beinahe zu einer Pandemie entwickelt hätte, und warnt: „Aufgrund der Zerstörung der Ökosysteme, in denen diese Viren leben, und wegen des Handels mit Wildtieren und Pflanzen kann es jederzeit zum Ausbruch irgendeiner Zoonose kommen. Es ist zwar unvorhersehbar, aber durchaus wahrscheinlich.“


Text: María José Sarzoza und Romano Paganini

Mitarbeit: Vicky Novillo Rameix und Katharina Hohenstein

Infografik: Victoria Jaramillo

Revision: Dra. Sandra Enríquez, Biologin und Enthomologin sowie Dr. Juan Carlos Navarro, Enthomologe und Spezialist in molekularer Epidemiologie.